¡Viva la Muerte!

Rauschhafte Festlichkeiten zum Dia de los Muertos in Mexiko, bestialische Tötungsrituale der kolumbianischen Drogenkartelle, die Grausamkeit lateinamerikanischer Diktatoren und die komplexen Verwerfungen der spanischen Kolonialgeschichte werfen die Frage auf: Gibt es in Lateinamerika ein anderes Verhältnis zum Tod als in der nördlichen Hemisphäre?

Der Autor und Nobelpreisträger Octavio Paz ist der Meinung, dass das Sterben in Europa und den USA verdrängt wird, während die Lateinamerikaner Gefallen am Umgang mit dem Schrecklichen finden und eine Neigung zur Selbstauslöschung haben: "Für die Nordamerikaner scheint die Welt etwas zu sein, das man vervollkommnen, für uns aber ist sie etwas, das man erlösen kann".

¡Viva la Muerte! geht dieser Verknüpfung von Eros und Thanatos und ihren Spiegelungen in der zeitgenössischen Kunst nach. Die Ausstellung präsentiert sich als Theater der Grausamkeit, das die verschiedenen Facetten der Violencia in ästhetischer Verdichtung und konzeptueller Strenge ausfaltet: Der Mexikaner Ivan Edeza zeigt ein kaum bearbeitetes Snuff-Video, in dem Männer zu sehen sind, die aus einem Helikopter Indios im brasilianischen Urwald erschießen.

Regina José Galindo nimmt eine spezifische, von der spanischen Kolonialherrschaft mitgeformte Art des Machotums ins Visier, wenn sie den Weg zum Präsidentenpalast in Guatemala City mit blutigen Fußspuren markiert. Der Brasilianer Cildo Meireles wiederum thematisiert die Geschichte der rücksichtslosen Missionierung und verknüpft die Trinität von Geld, Macht und Spiritualität in einer monumentalen Installation von berückender Schönheit.

Der Ideenraum der Ausstellung ¡Viva la Muerte! umfasst die sensationslüsterne Boulevard-Fotografien von Unfällen, Morden und Katastrophen des Mexikaners Enrique Metinides genauso wie den höhnisch grinsenden Clown Skull des Brasilianers Vik Muniz oder die Silueta-Perfomances der Exil-Kubanerin Ana Mendieta, die rituelle Praktiken aus Mexiko und Kuba mit den radikalen Kunstavantgarden der westlichen Moderne verknüpfen.

¡Viva la Muerte! stellt künstlerisches Material zur Verfügung, ohne abschließende Befunde zu liefern. Künstlerische und geistesgeschichtliche Differenzen auf dem lateinamerikanischen Kontinent bleiben als Risse und harte Schnitte zwischen den Ausstellungsobjekten sichtbar, während der fundamentale Unterschied zwischen Nord und Süd im Umgang mit dem Tod sich als ständig erneuernder Widerspruch in die Feinstruktur zahlreicher Arbeiten einschreibt.

Höhepunkt und Apotheose von ¡Viva la Muerte! sind die Arbeiten von Teresa Margolles, die ihre Karriere der Dokumentation und künstlerischen Bearbeitung unbeachteter Tode in Mexico City gewidmet hat. Was in der Statistik als Kollateralschaden einer nicht mehr administrierbaren Megalopolis aufscheint, gewinnt in Margolles’ Werken sein menschliches Maß und seine ethische Dimension zurück. Die Künstlerin macht Abgüsse von toten Körpern, verwendet das Wasser, mit dem Leichen gewaschen wurden, um daraus Seifenblasen zu produzieren und hat eine Akustik-Arbeit hergestellt, in der man das Kratzen und Schaben medizinischer Instrumente beim Eindringen in tote Körper hört.

"Das Leichenschauhaus ist der Ort, der mich ermutigt, die verstörenden Bilder und die verrückte Irrealität, die ich jeden Tag sehen kann, künstlerisch zu bearbeiten," sagt Teresa Margolles. "Es gibt mir auch die Kraft, die Rolle einer Mediatorin in Bezug auf die Gesellschaft einzunehmen. Die Machtlosigkeit und Bitterkeit, die ich mit den Familien der Opfer teile, findet in der Kunst ein Ventil und verwandelt sich in Zementblöcke, Luft und Seifenblasen."

KünstlerInnen: Francis Alÿs, Carlos Amorales, Juan Manuel Echavarría, Ivan Edeza, Regina Jose Galindo, Cristina Garcia Rodero, Daniel Guzmán, Dr. Lakra, Ilan Lieberman, Stephan Lugbauer, Jorge Macchi, Teresa Margolles, Cildo Meireles, Ana Mendieta,Enrique Metinides, Vik Muniz, Gabriel Orozco, Esteban Pastorino, José Alejandro Restrepo, Pedro Reyes, Bastienne Schmidt, Santiago Sierra, Melanie Smith


Ausstellungskatalog: ¡Viva la Muerte! Kunst und Tod in Lateinamerika. Hg.: Kunsthalle Wien, Gerald Matt, Thomas Mießgang / CAAM Gran Canaria, Álvaro Rodríguez Fominaya. Mit einer Einleitung von Gerald Matt, einem Essay von Thomas Mießgang und Textpassagen aus Werken von Jorge Luis Borges, Luis Buñuel, Chico Buarque, Julio Cortázar, Gabriel García Marquez, Mario Vargas Llosa, Octavio Paz und Miguel de Unamuno. Deutsch, 216 Seiten, ca. 120 Abbildungen. Verlag für moderne Kunst Nürnberg, ISBN 978-3-939738-66-4, EUR 14. Der Katalog erscheint im Frühjahr 2008 als zweisprachige Ausgabe in Spanisch/Englisch.

¡Viva la Muerte!
Kunst und Tod in Lateinamerika
17. Oktober 07 bis 17. Februar 08