Viennale 2014: Unkommentierter Blick auf große Gemälde und Maidan-Protest

Zwei große Dokumentarfilme kann man auf der Viennale entdecken: Frederick Wiseman blickt in "National Gallery" 170 Minuten lang in das berühmte Londoner Museum und weckt Lust auf das Entdecken großer Gemälde. Sergei Loznitsa dokumentiert dagegen in "Maidan" in langen statischen Totalen kommentarlos die Entwicklung der Proteste auf dem Kiewer Maidan-Platz vom November 2013 bis zur Flucht von Präsident Viktor Janukowytsch am 21. Februar 2014.

Der 84-jährige Frederick Wiseman gilt als Spezialist fürs dokumentarische Durchleuchten von Institutionen. Dem amerikanischen politischen System hat er sich in "State Legislature" ebenso gewidmet wie dem Pariser Varieté "Crazy Horse", dem Ballett der Pariser Oper in "La danse" ebenso wie der US-Universität in "At Berkeley". Naheliegend war fast, dass hier auch einmal ein Blick in und auf ein Museum folgen musste.

Anders als Johannes Holzhausen, der in "Das große Museum" das Kunsthistorische Museum in Wien mit der Kamera erkundet, blickt Wiseman in "National Gallery" weniger hinter die Kulissen des Museumsbetriebs, sondern interessiert sich vielmehr für die Kunst und ihre Vermittlung.

Auf eine Außenansicht des Museums folgen Blicke in die Ausstellungsräume und auf Details der prächtigen Gemälde, ehe kurz – wie bei Holzhausen – gezeigt wird, wie der Boden mit Staubsauger gereinigt wird. Darauf folgen wieder Gemälde und die Großaufnahmen von Besuchern, die auf diese Gemälde blicken.

Die Objekte und die Besucher, die Wiseman selbst teilweise in der Art der Porträts von Piero della Francesca im Profil filmt, treten so in Interaktion. Kunst wird erst lebendig, indem sie betrachtet wird. Gleichzeitig wird in diesen Schuss-Gegenschussaufnahmen der Frage nachgespürt, was die Faszination dieser teilweise 500 Jahre alten Werke und der darin verarbeiteten noch viel älteren Geschichten heute noch ausmacht.

Zwar ist Wiseman auch – wieder eine Parallele zum Film Holzhausens – mit der Kamera bei einem Gespräch der Marketingexpertin mit dem Direktor dabei und zeigt, wie Greenpeace ein Banner zum Schutz der Arktis an der Fassade aufhängt, der Schwerpunkt liegt aber bei den Kunstwerken an sich und den exzellenten Kunstvermittlern, die die Gemälde und die dahinter steckenden Geschichten erklären und sie in die Gegenwart der Besucher transponieren.

Die Museumsführungen sind dabei freilich nur ein geschickter Schachzug, um die im Direct–Cinema verpönten Interviews zu vermeiden. Denn im Grunde ist das, was konkret den Museumsbesuchern oder einem Fernsehteam über ein Gemälde William Turners erläutert wird, an die Kinobesucher adressiert.

Glänzend gelingt es Wiseman so die Kunstwerke zu feiern, ihre Vielschichtigkeit und die vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten sichtbar zu machen, auch Einblick in die teilweise im Dunklen liegende Entstehungsgeschichte zu bieten, und aufzuzeigen, wie man jedes Kunstwerk beim wiederholten Sehen immer wieder anders sehen kann.

Ebenso informative wie kurzweilige 170 Minuten ergeben sich so, die vor allem große Lust wecken die National Gallery, aber auch Gemälde im Allgemeinen genauer zu betrachten. – Eine bessere Werbung für dieses berühmte Londoner Museum, aber auch für die intensive Auseinandersetzung mit Kunstwerken im Allgemeinen kann man sich kaum vorstellen.

Auf Kommentar und Interviews verzichtet auch der in der Ukraine aufgewachsene Weißrusse Sergej Loznitsa. In 130 Minuten zeichnet er in "Maidan" großteils in langen statischen Totalen vom Kiewer Maidan-Platz die Entwicklung der Demonstration gegen Präsident Viktor Janukowytsch und seine "kriminelle Bande" nach.

Hintergrundinformationen zur Eskalation der Ereignisse zwischen November 2013 und Februar 2014 werden nur ganz knapp, in wenigen Inserts geboten. Der Bogen spannt sich vom friedlichen Absingen der Nationalhymne der Menge über Blicke in eine Großküche und das Zeltlager bis zu den Auseinandersetzungen mit der Polizei: Pflastersteine und Molotovcocktails fliegen, Wasserwerfer und Tränengas werden auf der anderen Seite eingesetzt.

Doch mögen die Ereignisse sich auch noch so dramatisch zuspitzen – die Kamera bleibt immer distanzierter und unbeweglicher Beobachter. Kein Individuum wird hier herausgehoben, der Blick richtet sich immer auf die Masse, wodurch der Zuschauer freilich auch auf Distanz gehalten wird.

Nur scheinbar objektiv ist "Maidan" freilich in diesem ruhigen und distanzierten Blick, denn die Kameras Loznitsas und der beiden anderen Kameramänner Serhiy Stetsenko und Mykhailo Yelchev stehen immer auf der Seite des Volkes, wechseln nie die Perspektive.

Doch dem Patriotismus und der nationalen Begeisterung, die nicht nur im Singen der Hymne, sondern noch stärker im wiederholten Ruf "Helden sterben nie" zum Ausdruck kommt, widersetzt sich "Maidan" dennoch entschieden. Denn Loznitsa zeigt am Ende dieses wichtigen, aber im Verzicht auf Individualisierung nicht leicht zugänglichen Zeitdokuments auch die Opfer des Kampfes, hält auch die Begräbnisfeier und die Trauer mit kühl-distanziertem Blick fest.