Viennale 2014: Am Puls der Zeit

Am Beispiel der malischen Stadt Timbuktu zeigt der Mauretanier Abderrahmane Sissako in seinem bildstarken Drama "Timbuktu" die Auswirkungen der Machtübernahme von Dschihadisten auf die Bevölkerung. Am Puls der Zeit ist aber auch Céline Sciamma, die in "Bande de filles" mitreißend vom Coming-of-Age eines afrofranzösischen Teenagers erzählt.

Acht Jahre nach "Bamako", in dem Abderrahmane Sissako von einem fiktiven Prozess der afrikanischen Zivilbevölkerung gegen Weltbank und IWF erzählte, meldet sich der Mauretanier zurück – und ist wieder am Puls der Zeit.

In langsamem Erzählrhythmus erzählt Sissako, wie die Machtübernahme der Dschihadisten in der malischen Stadt Timbuktu zunehmend dramatische Auswirkungen für die Bevölkerung hat. Werden zunächst mit Maschinenpistolen alte afrikanische Holzstatuen zerschossen, per Lautsprecher Rauch- und Musikverbot sowie Kleidungsvorschriften verkündet, so folgen bald immer drastischere Strafen.

Vor allem die Frauen leisten zwar Widerstand, Jugendliche machen sich über das Fußballverbot lustig, indem sie in einer herrlich poetischen Szene ohne Ball spielen und der Imam will mit dem Anführer über den Koran und die Unsinnigkeit und Unmenschlichkeit der Vorschriften der Dschihadisten diskutieren, doch diese sind für rationale Argumentationen nicht zugänglich.

Prägnant zeigt dies Sissako in einer Szene, in der der Fahrer des Anführers der Dschihadisten diesen darauf anspricht, dass er den anderen zwar das Rauchen verbietet, selbst aber heimlich raucht. Der Anführer antwortet nichts darauf, nimmt seine Maschinenpistole und mäht mit Schüssen einen Grasstreifen nieder.

Während sie Ehebruch mit brutaler Steinigung – eine kurze, aber gerade dadurch schockierende Szene – bestrafen, stellt der Anführer selbst der Frau eines Bauern nach. Sie verbieten zwar Fußball, diskutieren aber selbst über Messi, Zidane, Real Madrid und Barcelona.

Doch trotz des Terrors, von dem Sissako erzählt, ist "Timbuktu" ein sanfter und leiser Film. Ganz klassisch und ohne Mätzchen wird die Handlung geradlinig und ruhig, aber konzentriet entwickelt. Die Gewalt schleicht sich nur punktuell in die prächtigen von den Gelb- und Brauntönen der Wüstenlandschaft bestimmten, lichtdurchfluteten Bildern ein und bleibt gerade dadurch länger haften. Allein schon durch diese sanfte Erzählweise entwickelt sich dieser Film zu einem starken Plädoyer für Menschlichkeit und einem Appell an die Dschihadisten von ihrem Terror und verbohrten Weg abzulassen.

Was bei Sissako die Brauntöne sind, sind bei der Französin Céline Sciamma die Blautöne. Nach "Water Lilies" und "Tomboy" widmet sie sich auch in ihrem dritten Spielfilm der Lebenswelt und den Gefühlen eines Teenagers, blickt dabei dieses Mal aber auf die afrofranzösische Community.

Im Mittelpunkt steht die 16-jährige Mariéme, die in einer heruntergekommenen Vorstadtsiedlung von Paris wohnt. Zuhause steht sie unter der Fuchtel ihres älteren Bruders, die alleinerziehende Mutter ist meist abwesend, die Schulleistungen lassen keinen Besuch einer höheren Schule zu.

Stark und lebensfroh ist sie nur in der Gemeinschaft mit Freundinnen. Prägnant auf den Punkt bringt ihre Situation die Eröffnungssequenz, in der sie in einem Mädchenteam American Football spielt. Beginnt der Heimweg des Teams noch fröhlich, so wird die Stimmung zunehmend bedrückender, je mehr sich die Wege der Spielerinnen trennen und Mariéme schließlich allein unterwegs ist und sich von herumlungernden Jungs anquatschen lassen muss.

Die American-Football-Szene steht aber auch für ihre Kampfbereitschaft und ihren unbedingten Willen aus ihrer Situation auszubrechen. Zumindest vorübergehend gelingt ihr das, als sie in die Bande der toughen "Lady" und ihrer zwei Freundinnen aufgenommen wird. Man probiert in einem Hotelzimmer gemeinsam geklaute Klamotten, schminkt sich, tanzt ausgelassen zu Rihannas "Diamonds", liefert sich aber auch Kämpfe mit einer anderen Mädchenbande.

Das ist für einmal glücklicherweise keine Sozialreportage, sondern präzise im Milieu der von Beton bestimmen Banlieue verankertes und wunderbar natürlich und mit großem Körpereinsatz vom jugendlichen Ensemble gespieltes pulsierendes Kino. Keine Erklärungen werden hier geboten, sondern mit treibender und durch Schwarzblenden strukturierter Erzählweise taucht man in coolen, von Blautönen dominierten Cinemascope-Bildern und mit mitreißender Musik in die Lebenswelt der 16-jährigen Protagonistin ein und erlebt hautnah die Begrenzungen durch das Umfeld, aber auch ihre Träume von einem Ausbruch aus dieser Beengung.