Viennale 2013: Kinobilder und realer Massenmord

Joshua Oppenheimer arbeitet in "The Act of Killing" nicht nur den Massenmord in Indonesien Mitte der 1960er Jahre auf, sondern thematisiert auch die Macht von Kinobildern. Am Genrekino orientiert sich auch Tia Zhangke in seinem gewaltigen und gewalttätigen chinesischen Panorama "A Touch of Sin".

Zwischen einer halben und einer Million Menschen wurden nach dem Militärputsch und der Machtübernahme General Suhartos in Indonesien in den Jahren 1965/66 unter dem Vorwand Kommunisten zu sein von paramilitärischen Todesschwadronen und Kriminellen ermordet. Intellektuelle waren ebenso davon betroffen wie Gewerkschafter und die chinesische Minderheit. Der Massenmord wurde nie aufgearbeitet, denn die Täter sind immer noch an der Macht.

Joshua Oppenheimer wollte zunächst einen Film über die Überlebenden des Massenmords machen, doch seine Arbeit wurde von den lokalen Machthabern behindert und die Betroffenen schwiegen aus Angst. So begann der in Dänemark lebende Amerikaner schließlich die Täter zu befragen, die bereitwillig Rede und Antwort standen und mit ihen Taten sogar prahlten.

Anwar Congo demonstriert auf einer Dachterrasse, wie er mit einer Drahtschlinge tausende Menschen ermordete und tanzt gleich auch noch an der Folterstätte. Gewissensbisse scheint er keine zu kennen. Mit Anwar und seinen Kollegen inszeniert Oppenheimer die Morde und Folterungen nach, bei denen sich die Täter von Gangsterfilmen und Musicals inspirieren ließen. Sie selbst spielen dabei sowohl Opfer als auch Täter. Als doppeldeutig erweist sich damit der Titel "The Act of Killing", meint einerseits den Akt des Tötens, andererseits aber auch die Reinszenierung der Taten.

Die Aufzeichnung der grellen Szenen, in denen das Kunstblut spritzt, spielt der Regisseur anschließend den Massenmördern vor. Ungerührt scheinen sie, doch am Ende zerbricht die Fassade Angwars und er erklärt unter Tränen nun fühlen zu können, was seine Opfer fühlten. Doch Oppenheimer widerspricht ihm: "Du weißt, dass du nur in einem Film spielst, für deine Opfer aber war das Realität." An der Folterstelle führt er nun keinen fröhlichen Tanz mehr vor, sondern tappt wie betäubt herum, röchelt und erbricht sich fast.

Es ist eine drastische Methode, mit der Oppenheimer in seinem 160-minütigen Dokumentarfilm arbeitet. Mit kitschigen, knallbunten Musicalszenen und trashigen Mordszenen erinnert er nicht nur an den Massenmord, sondern zeigt auch die Macht der Bilder. Denn während einerseits die Täter sich bei ihren Mordmethoden von Kinofilmen inspirieren ließen, bringt andererseits die Vorführung der nachinszenierten Morde Angwar zum Nachdenken. Das Monströse der Tat wird nicht verharmlost, doch sichtbar wird im Sinne von Hannah Arendts Theorie von der "Banalität des Bösen", dass der Täter sich eben nicht auf ein Monster reduzieren lässt, sondern ein Mensch ist.

Mit Elementen des Genrekinos arbeitet auch der Chinese Jia Zhangke in "A Touch of Sin". Nach ruhigem Arhouse-Kino wie "Still Life" bedient sich Zhangke hier deftigerer Töne und der Titel erinnert wohl nicht zufällig an King Hus Martial-Arts-Meisterwerk "A Touch of Zen". Zhangke erzählt vier kaum verbundene Geschichten, in denen es immer um den Umbruch in China und damit verbunden um Ausbeutung und Unterdrückung geht.

Mit dokumentarischem Blick fängt er die Lebensrealität ein, zeigt wie ein Geschäftsmann und ein Bürgermeister durch den Verkauf einer Kohlemine große Gewinne machen, die Bevölkerung aber in Not lebt, die Arbeiter in einer Bekleidungsfabrik ausgebeutet werden, eine Rezeptionistin in einer Sauna von einem reichen Kunden bedrängt wird, oder ein Wanderarbeiter auf seinem Motorrad vergeblich nach einem Job sucht.

Doch die Unterdrückten und Ausgebeuteten lehnen sich in diesem kraftvollen Kinostück auf und schlagen zurück. Ein Minenarbeiter stellt die Bonzen zur Rede und, als dies nichts bringt, geht er mit dem Gewehr auf einen Rachefeldzug. Der Wanderarbeiter knallt eiskalt Wegelagerer ab, die Rezeptionistin richtet mit dem Messer ein Blutbad an. – Blutig und gewalttätig ist dieser Film, aber immer packend und faszinierend und in einem Pferd, das vom Bauern so lange geschlagen wird, bis es zusammenbricht, findet Zhangke ein Bild für die Situation des chinesischen Volkes, das lange haften bleibt.