Viennale 2012: Klassische Action und überbordendes wildes Kino

Spannend ist bei einem Filmfestival immer wieder, wie in der Fülle der Filme Gegensätze aufeinanderprallen. Wie vielfältig die Möglichkeiten und Spielarten des Kinos sind, zeigen bei der 50. Viennale beispielsweise Soi Cheangs Actionfilm "Che sau – Motorway" auf der einen und Benh Zeitlins bildgewaltiges Debüt "Beasts of the Southern Wild" auf der anderen Seite.

Während "Che sau – Motorway" ein straighter, aufs Wesentliche abgespeckter Actionfilm aus Hongkong ist, bietet Benh Zeitlins Debüt wildes magisches Kino wie man es eher aus Südamerika als aus den USA und Europa kennt. Im Mittelpunkt des von Action-Meister Johnnie To produzierten "Che sau" steht ein junger Polizist einer Spezialeinheit, deren Aufgabe es ist, mit ihren schnellen Wagen die Veranstalter illegaler Autorennen auf den Stadtautobahnen von Hongkong, aber auch Fluchtwagenlenker dingfest zu machen.

Ansatzlos beginnt der Film mit einer wilden Verfolgungsjagd, doch der Gegner kann Cheung mittels eines speziellen Fahrtricks entkommen. Verbissen versucht der junge Cop diesen Trick nun auch zu lernen, doch dies gelingt ihm erst mit Hilfe seines alten Partners, der kurz vor der Pensionierung steht. Noch einmal wird der Gangster die Polizei auf einer kurvigen Bergstraße düpieren, auch Opfer werden zu beklagen sein, doch beim finalen Showdown in einem Parkhaus und dann am Hafen wird Cheung beweisen, dass er seine Lektion gelernt hat.

Man glaubt im Kino fast den abgeriebenen Gummi riechen zu können, wenn sich die Räder drehen, Rauch aufsteigt, die Motoren aufheulen. Doch mögen die Verfolgungsjagden, bei denen die Kamera immer nah an den Wagen und ihren Fahrern bleibt und nur dann und wann einen kurzen Blick auf die imposante Skyline von Hongkong eröffnet, auch das Herzstück des Films sein, so vergisst Soi Cheang doch nicht auf knappe, aber markante Figurenzeichnung. Profil gewinnt hier vor allem Cheungs älterer Partner und ganz knapp kann auch noch der Beginn einer Liebesgeschichte angedeutet werden.

Nichts ist hier neu, aber souverän arbeitet Soi Cheang mit den Standards des klassischen Actionfilms und bietet 90 Minuten rasante Unterhaltung. Einen ungewöhnlichen Film, wie man ihn wohl nur einmal in seinem Leben drehen kann, gelang dagegen Benh Zeitlin mit "Beasts of the Southern Wild", der schon beim Sundance-Festival im Januar für Furore sorgte und mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wurde.

Zeitlin erzählt aus der Perspektive des achtjährigen afroamerikanischen Mädchens Hushpuppy, wobei der Zuschauer durch ihr den Film begleitendes Voice-over zusätzlich in ihre Wahrnehmung und Gefühlswelt versetzt wird. Mit ihrem Vater Wink lebt sie in den Sümpfen des Mississippi-Deltas. Fern scheint die Zivilisation, hinter einem Damm sieht man die rauchenden Schlote von Raffinerien, doch in der "The Bathtube" genannten Siedlung wuchert die Vegetation, lebt man in einer chaotischen aus einem Wohnwagen gebauten Baumhütte und ernährt sich von rohen Krabben und ähnlichem Meeresgetier.

Als die Lehrerin in ihrem unkonventionellen Unterricht ausgehend von einer Tätowierung auf ihrem Oberschenkel von Auerochsen der Urzeit und dem Schmelzen der Polkappen erzählt, steigen in Hushpuppy zunehmend Visionen vom Abbrechen der Gletscher und der daraus resultierenden Befreiung der Urtiere auf. In ihren Visionen ziehen diese Mischwesen aus Stier, Säbelzahntiger und Schwein eine Spur der Verwüstung zurücklassend durchs Land.

Gleichzeitig wecken Erzählungen des Vaters die Sehnsucht nach der früh verschwundenen Mutter, lassen Hushpuppy in einen Dialog mit der Abwesenden treten und in Kopf Bilder einer Frau aufsteigen, die durch ihre bloße Präsenz das Wasser zum Kochen und mit einer Berührung des Herdes das Gas zum Entflammen brachte.

Fantasie von der großen Katastrophe und Realität scheinen zu verschmelzen, wenn ein Sturm über "The Bathtube" hereinbricht und das Land überflutet wird, bis die Bewohner, die nicht schon geflohen sind, zwangsevakuiert werden.

Aktuelle Themen wie der Klimawandel, die Hurricanes im Süden der USA und die triste Lage randständiger Gruppen spielen zwar herein, doch im Zentrum steht immer der Kampf Hushpuppys ums Leben und Überleben. Mitreißend macht diesen Film, der sich jeder Kategorisierung entzieht und sich in seinem Vertrauen auf starke Bilder mit Worten letztlich nicht beschreiben lässt, seine furiose Erzählfreude, bei der detailreich und atmosphärisch dicht das Leben in "The Bathtube" beschrieben wird und wild Realismus und magisch-märchenhafte Momente gemischt werden. Gleichzeitig sorgt die famose Leistung von Quvenzhané Wallis in der Rolle der Hushpuppy dafür, dass "Beasts of the Southern Wild" auch das Herz des Zuschauers berührt.