Vergnügen und Verbrechen: Großstadtfilme der Weimarer Republik

Das Kino der Weimarer Republik brachte nicht nur den expressionistischen Film hervor, sondern tauchte auch in das Gewimmel der modernen Großstadt ein, machte soziale Gegensätze transparent und ließ den Kleinbürger den Verlockungen der vielfältigen Vergnügungen verfallen. Das Österreichische Filmmuseum widmet diesem Aspekt des Weimarer Kinos derzeit eine Filmreihe.

Während in den ersten Jahren nach dem Ersten Weltkrieg expressionistische Werke wie Robert Wienes "Das Cabinet des Dr. Caligari" (1920), Friedrich Wilhelm Murnaus "Nosferatu" (1922) oder Fritz Langs "Dr. Mabuse" (1922) den Film der Weimarer Republik bestimmten, wurde diese Strömung etwa ab 1923 von Kammerspielfilmen und so genannten "Straßenfilmen" abgelöst.

Schauplatz von letzteren ist die moderne Großstadt, im Fall des deutschen Films meistens Berlin, gedreht wurde aber zumeist im Studio. Die Ballungszentren, die seit der Jahrhundertwende entstanden waren, boten mit ihrem – auch aufgrund der neuen Verkehrsmittel – dynamisierten Leben, mit dem Zusammenprall unterschiedlichster sozialer Schichten auf engem Raum, sowie den zahlreichen, vielfach nächtlichen Freizeitvergnügen, vielfältige Möglichkeiten für das dynamische und von visuellen Reizen lebende neue Medium Film.

Die Lichtermeere von Leuchtreklamen und Scheinwerfern auf der einen und dunkle Gassen auf der anderen Seite boten nicht nur Möglichkeiten zum Spiel mit Licht und Schatten, sondern man konnte darin ganz im Sinne von Brechts "denn die einen stehn im Dunkeln und die anderen stehn im Licht" soziale Gegensätze verdeutlichen. Statt Halb- und Nahaufnahmen wie im Kammerspielfilm dominieren hier folglich auch Halbtotalen und Totalen, durch die die Figuren in ein soziales Umfeld eingebettet werden.

Im Zentrum dieser Filme steht oft ein Kleinbürger, der den Reizen einer Frau oder den Verlockungen des Großstadtlebens im Allgemeinen verfällt, und auf die schiefe Bahn gerät. Als wichtigster Vorläufer dieser Strömung gilt "Von morgens bis mitternachts" (1920), in dem Karlheinz Martin in expressionistischen Kulissen von einem Bankangestellten erzählt, der Geld unterschlägt und auf der Flucht vor der Polizei durch die Großstadt irrt.

Endet dieser Film noch mit dem Selbstmord des Protagonisten erlaubt Karl Grune in "Die Straße" (1923), der als Prototyp der "Straßenfilme" gilt, seinem Kleinbürger ebenso wie beispielsweise sechs Jahre später Joe May in "Asphalt" (1929) einem Polizisten, die beide einer Frau verfallen und sich in ein Verbrechen verstrickten, am Ende eine reumütige Rückkehr in das bürgerliche Leben. Mag die melodramatische Handlung dieser Filme auch nicht überzeugen, so beeindrucken die im Studio gedrehten Straßenszenen doch immer noch durch ihren Realismus.

Die soziale Kluft in der Großstadt prangert dagegen Georg Wilhelm Pabst in "Die freudlose Gasse" (1925) und in der Verfilmung von Brechts "Dreigroschenoper" (1931) scharf an und auch Gerhard Lamprecht deckt in seinen Milieufilmen wie "Menschen untereinander" (1926) diese Gegensätze prägnant auf. In Hinterhöfe und bedrückende Wohnverhältnisse blickt aber auch Piel Jutzi in "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" (1929) und seiner Verfilmung von Alfred Döblins Roman "Berlin - Alexanderplatz" (1931) und entwickelt aus der Zustandsschilderung heraus gleichzeitig Anklage wie Aufforderung zu sozialistischem Engagement. Dies fordern auch Leo Mittler in "Jenseits der Straße" (1929) und Werner Hochbaums "Razzia in St. Pauli" (1932), die beide im Milieu der Hamburger Bettler, Dirnen, Kriminellen und Arbeitslosen spielen.

Im Gegensatz zu diesen sozial engagierten Filmen geht es Walter Ruttmann in seinem konstruktivistischen Dokumentarfilm "Berlin – Die Sinfonie der Großstadt" (1927) darum, allein durch die Montage dedr Bilder den pulsierenden Rhythmus eines Arbeitstages vom ruhigen Beginn am Morgen über die hektische Geschäftigkeit des Tages bis zum ausgelassenen nächtlichen Vergnügen zu vermitteln.

Während sich bei Ruttmann dabei auch die Menschen der Montage unterordnen müssen, wie Objekte behandelt werden, bestimmt Robert Siodmaks, Egdar G. Ulmers, Billy Wilders und Fred Zinnemanns "Menschen am Sonntag" (1929) gerade der Blick auf die Menschen. In einem Mix aus Dokumentaraufnahmen der Großstadt und einer sehr reduzierten Spielhandlung vermittelt dieses Debüt in vielen kleinen Episoden einen Stimmung und Milieu genau treffenden Einblick in die sonntägliche Freizeitgestaltung junger Großstädter.

Als Ort des Verbrechens und der Verbrecherjagd erlebt man dagegen die Großstadt in Lamprechts Kästner-Verfilmung "Emil und die Detektive" (1931), vor allem aber in Fritz Langs Meisterwerk "M – Eine Stadt sucht einen Mörder" (1931), in dem die Aktionen der Polizei und der Gangster, die beide einen Kindermörder fassen wollen, in einer virtuosen Parallelmontage gleichgeschaltet werden.

Aber auch schon Vorboten der Femme fatale des amerikanischen Film noir finden sich im Weimarer Kino. Da stürzt nicht nur Marlene Dietrich in Josef von Sternbergs "Der blaue Engel" (1930) den von Emil Jannings gespielten Professor ins Verderben, sondern in Robert Siodmaks bis vor kurzem verschollenem "Stürme der Leidenschaft" (1932) wird auch das Leben eines Bankräubers durch seine Liebe zu einer untreuen Frau zerstört.

Gleichzeitig wollte das deutsche Kino in dieser Zeit der Weltwirtschaftskrise dem Publikum aber auch unbeschwerte Unterhaltung bieten und mit musikalischen Großstadtkomödien wie Paul Martins "Ein blonder Traum" (1932) und Ludwig Bergers "Ich bei Tag und Du bei Nacht" (1932), in denen die sozialen Probleme ausgeklammert wurden, dem Hollywood-Musical Paroli bieten. – Brutal abgewürgt wurde diese Blütezeit des deutschen Films freilich nur wenig später durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933.

Trailer zu "Die Straße"