The Urban Cultures of Global Prayers

Neue religiöse Bewegungen spielen in den Städten eine immer wichtigere Rolle. Sie verändern die urbane Topographie, sie treten als wirtschaftliche wie auch als politische Akteure auf und ersetzen nicht selten die Rolle des Staates – quer durch alle Weltregionen und Religionen. In Lagos fasst die größte Pfingstkirche fünfmal mehr Gläubige als das weltgrößte Fußballstadion; am Rande der Megastadt entsteht eine eigene City of God.

In Beirut übernehmen islamistische Einrichtungen den Wiederaufbau der kriegszerstörten Viertel und kontrollieren die Wohnungsversorgung. In Rio de Janeiro konvertieren Kinos zu Kirchen, in Mumbai werden öffentliche Räume zeitweise zur Bühne für religiöse Spektakel. Religiöse Gemeinschaften demonstrieren ihre Präsenz und besetzen urbane Räume.

Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich das Forschungs- und Ausstellungsprojekt "Global Pragers · Erlösung und Befreiung in der Stadt", initiiert von der Berliner Gruppe metroZones, seit 2009 mit neuen Glaubensgesellschaften in unterschiedlichsten städtischen Kontexten. Die zentrale Perspektive des Projektes bildet dabei die Stadt und die Wechselwirkung der neuen religiösen Praktiken mit lokalen urbanen Lebensumständen und globalen gesellschaftlichen Tendenzen.

Die internationale Ausstellung "The Urban Cultures of Global Pragers" thematisiert die kulturellen und städtischen Praktiken der weltweit agierenden, neuen religiösen Bewegungen. Erfahrbar werden urbane Settings, Strategien und Sinnproduktionen religiöser Akteure und Gemeinschaften in Metropolen des Globalen Südens. Welchen Einfluss haben Glaubensrituale auf die räumliche Organisation der großen, höchst dynamischen Metropolen, wie Lagos, Mumbai, Jakarta, Istanbul, Rio de Janeiro, aber auch Berlin? Und wie eignen sich unterschiedliche religiöse Bewegungen die Städte als Bühne an, welche Bedeutungsverschiebungen erzeugen sie, wenn städtische Kulturen von neuen religiösen Praktiken durchdrungen werden?

"The Urban Cultures of Global Pragers" ermöglicht einen differenzierten Blick auf die Zusammenhänge zwischen urbaner Entwicklung und sakralen Praktiken, zwischen den Versprechen spiritueller Erlösung und sozialer Befreiung. Jenseits ideologischer Debatten um das "Wiedererstarken der Religionen" wird in den Arbeiten von KünstlerInnen aus zwölf Ländern deutlich, dass große Städte immer auch Orte religiöser Innovation sind. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf visuellen und medialen Formaten Fotografie, Videoinstallation und Soundscape.

"Global Pragers" ist als interdisziplinäre Recherche angelegt. In enger Zusammenarbeit zwischen künstlerisch und wissenschaftlich Forschenden lotet das Projekt aus, wie die neuen Politiken, Ökonomien und Kulturen des Glaubens im städtischen Raum funktionieren, welche Bilder und Klänge, Räume und Praktiken das Religiöse im Zeichen der Globalisierung hervorbringt. Erkundet werden Themen wie das Verhältnis zwischen neuen urbanen Religionsgemeinschaften, Stadtplanung und Staatlichkeit, Selbstorganisation, Medialität, Alltagskultur und die Lokalisierung transnational agierender Akteure.

Der Glaube ist allerdings auch ein Medium, über das sich Gemeinschaftlichkeit organisiert, indem gemeinsame Werte, Rituale und Ziele etabliert werden, die sich in den Alltag einschreiben und Transformationsmomente in Bezug auf Fragen der sozialen und politischen Identität erzeugen. Die Ausstellung schließt damit an Fragestellungen an, die Camera Austria im Jahr 2011 bereits in Ausstellungsprojekten und in der Zeitschrift verhandelt hat: an das zweiteilige Projekt "Communitas" zu Fragen von Gemeinschaft, von Ein- und Ausschließungen, aktuellen Identitätspolitiken bzw. an die Frage der politischen Instrumentalisierung von kultureller Identität, aber auch an Fragen zum "Dokumentarischen als politische Praxis", wie in Camera Austria International 114.

Welche Rolle können künstlerische Praktiken mit und über Fotografie spielen, um eine Art visuelle Programmierung des politischen Raumes zu durchbrechen. Dabei kann es nicht darum gehen, die Widersprüche zwischen den Blickregimes eines vermeintlichen "Innen" gegen ein vermeintliches "Außen" auszuspielen, noch diese Blick- und Bildregime ineinander aufzulösen. Es geht im Gegenteil darum, diese sichtbar zu machen und als Teil des Projektes zu verhandeln.

Die Ausstellung "The Urban Cultures of Global Pragers" erzeugt mithin einen eminent visuellen Raum der Debatte über das Religiöse, den Stadtraum und Repräsentationspolitiken. In Camera Austria International 116 gehen Jochen Becker und Axel John Wieder in ihren theoretischen Texten, die anlässlich des Ausstellungsprojekts entstanden sind, den Zusammenhängen zwischen urbaner Entwicklung und neuen religiösen Bewegungen nach.

The Urban Cultures of Global Prayers
28. Januar bis 1. April 2012