Worte und Unworte, seit vielen Jahren ausgewählt und publiziert, spiegeln den Geist und Ungeist wider; sie sind aber auch Sprachmittel für das Mentale. Sprache ist lebendig. Sie bildet nicht nur ab, sondern richtet auch zu. Viele "Worte des Jahres" klingen wie "Unworte" - es braucht schon eine Expertise, um die Unworte als solche auszuweisen. Der sprachliche, also gesellschaftliche Kontext kann leicht positiv konnotierte "Worte des Jahres" in Unworte verwandeln (umgekehrt wird kein Unwort seinen Unwert als negativen verlieren).
Die Liste der Wörter und Unwörter bildet ein reichhaltiges Vokabularium für Textproduktionen. Ich versuchte mich an einem kurzen Beispiel:
Sie war der Neiddebatte leid, wollte die Klagen über Konsumopfer nicht mehr hören und suchte deshalb die freiwillige Ausreise, nicht zuletzt, um der Entlassungsproduktivität, die weiter stieg, zu entgehen. Die Expertisen über den Bombenholocaust und vermehrte Ehrenmorde belasteten zusätzlich zum erkannten Langlebigkeitsrisiko, das ihren Wert, wie sie scharf erkannte, ihr Humankapital, minderte.
Nach ihrer Ankunft wurde sie im Begrüssungszentrum freundlich empfangen und über die Chancen als Ich-AG-Entrepreneur aufgeklärt. Nichts war von einem Tätervolk zu erkennen. Diese Schmähung blieb den Abweichlern vorbehalten, die ihren Kreuzzug trotz Gewinnwarnung und Klimakatastrophe fortführten. In eigenen Ausreisezentren wurden künftige Zellhaufen nach verdeckten Gotteskriegern geprüft; noch konnte man solche erkennen. Wird einmal das therapeutische Klonen Wirklichkeit geworden sein, ist dieses Problem inexistent.
In vernebelten Raucherkneipen waren auch Dopingbeichten und Berichte von Lustreisen zu hören, aber auch vom Second Life. Das war zwar noch nicht typisch fürs Prekariat, aber doch auffällig für solche, die sich kein Bezahlstudium leisten wollten, weil sie spritdurstige Maschinen betrieben, obwohl sie einerseits schon arm durch Arbeit, andererseits Opfer der Angebotsoptimierungen geworden waren. Da half weder die Neiddebatte, noch die Herdprämie.