Ugo Mulas - Circus Calder

Die Geschichte, die Ugo Mulas (1928–1973) und Alexander Calder (1898–1976) miteinander verband, war die einer großen Freundschaft. Sie fand ihren Ausdruck in einer umfangreichen Serie von Aufnahmen des großen italienischen Fotografen, die nicht nur die Werke des amerikanischen Bildhauers, sondern auch den Künstler bei der Arbeit und den Menschen Calder zeigen.

Mit den Mitteln der Fotografie liefert Mulas einen Schlüssel zum Werk eines Künstlers, der zu den wichtigsten des 20. Jahrhunderts zählt, und speist zugleich einen Kreislauf, der von der Kunst ausgeht und wieder zu ihr zurückführt. Mulas greift nicht ein und urteilt auch nicht, sondern macht sich zum visuellen Interpreten der ihrerseits vornehmlich visuellen Sprache Calders.

Die Zirkusfiguren werden zu den eigentlichen Protagonisten seiner Bilder, da sie meistens im Vordergrund erscheinen und nur selten aus größerer Distanz aufgenommen wurden, was ihre ursprüngliche "performative Rolle" vollumfänglich greifbar macht. Wie auch sonst dienen die Werke des Fotografen auch hier nicht nur der kritischen Dokumentation der Arbeit eines anderen Künstlers, sondern beziehen eine eigene ästhetische Position und profilieren sich als Werke, die für sich selbst stehen und sich durch einen eigenständigen Stil auszeichnen.

Mulas war ein aufmerksamer Beobachter der Künstlerszene seiner Epoche; dabei galt sein Blick hauptsächlich den Künstlern selbst und ihren Werken, von denen er berühmte Fotoserien machte, die nicht selten in Buchform veröffentlicht wurden: Lucio Fontana (mit Gedichten von Nanni Balestrini, Mailand 1968), Fausto Melotti. Lo spazio inquieto (hg. von Paolo Fossati, mit einem Text von Italo Calvino, Turin 1971), Marcel Duchamp (Mailand 1973). Er porträtierte die Künstler in ihren Ateliers, vor ihren Werken oder auch während der Arbeit.

Mulas lernte Calder 1962 in Spoleto kennen, wo er im Auftrag von Giovanni Carandente Porträts der Künstler anfertigen sollte, die ihre Werke im Rahmen des Festival dei Due Mondi ausstellten, das Spoleto in eine "Museumstadt unter freiem Himmel" verwandelte. Zwischen Mulas und Calder bahnte sich eine tiefe Freundschaft an, und bald fotografierte Mulas nicht nur die berühmtesten Werke des Bildhauers, sondern auch die erste Serie seiner Arbeiten, in der die Ansätze dessen sichtbar werden, was zum Kennzeichen der reiferen Werke wurde.

Der große innovative Beitrag Calders besteht in der Verwendung unkonventioneller Materialien und in seiner radikalen Neuinterpretation des Raumbegriffs mit abstrakten, beweglichen skulpturalen Formen, in denen Elemente wie Schwerkraft, Gleichgewicht und Leere zur "schöpferischen Materie" werden. Calders luftige, farbige Skulpturen gestalten den Raum und laden dazu ein, die Umgebung neu zu erfahren; gleichzeitig bringen sie etwas Märchenhaftes, ja Kindliches zurück, das auf den Bereich frühester Interaktion verweist, eben wie das, was Kinder erleben, wenn sie mit ihren Spielsachen, Puppen und Tieren im Kleinformat spielen.

All diese Aspekte kommen bereits in der ersten Werkserie des Bildhauers zum Ausdruck, die mit der Realisierung von Spielzeug und dem Aufbau des Circus einherging. Der Circus Calder ist eine Sammlung kleiner Skulpturen, die menschliche Figuren und Tiere darstellen, aus Metalldraht, Schnur, Gummi, Stoff und wiederverwendeten Gegenständen, die der Bildhauer bei improvisierten Vorführungen in Szene setzte. Calder fertigte diese Objekte in Paris an, nachdem er einen serbischen Spielzeughersteller kennengelernt und die Entwürfe für die ersten beweglichen Spielzeuge fertiggestellt hatte.

Sämtliche Skulpturen und Gegenstände dieser Serie waren so konzipiert, dass sie leicht in Koffern zu transportieren waren, damit man herumreisen und überall mit ihnen auftreten konnte. Calder brachte seinen Circus in die Vereinigten Staaten, arbeitete an improvisierten Vorführungen und ließ sich von realen Zirkusnummern inspirieren. Zweifellos markierte diese Serie einen entscheidenden Übergang in der Poetik des Künstlers, denn zu jener Zeit fertigte er tatsächlich erstmals Skulpturen mit Metalldraht an und begann sich für kinetische Kunst zu interessieren.

Sein Augenmerk richtete er dabei besonders auf das Gleichgewicht der Form, ein Aspekt, der fundamental wichtig werden sollte für seine abstrakten Skulpturen, die Marcel Duchamp mit einem französischen Wortspiel als "mobiles" bezeichnete: mobile Mobiles. In der Zeit des Circus kommt neben Aspekten, die die formale Realisierung im engeren Sinne betreffen, ein typischer Wesenszug der Poetik des Bildhauers zur Geltung, nämlich die spielerische Komponente. Mit dem Zirkus ist eine Vorstellungswelt verbunden, die ihren Ausdruck im Werk zahlreicher Künstler gefunden hat und einen gewichtigen Platz im Kunstschaffen des 20. Jahrhunderts einnimmt.

Dieser faszinierende eigene Kosmos mit seinen vielen Gegensätzen und dem Wechselbad von Verzauberung und Verzweiflung hat die Fantasie der Künstler und Autoren ungemein angeregt. Man braucht nur an die Bilder von Picasso, Cocteau, Chagall, Toulouse-Lautrec, Kirchner, Seurat oder Léger zu denken, an Baudelaires Gedichte, an literarische Werke wie Heinrich Bölls Ansichten eines Clowns, an Filme wie Charlie Chaplins Der Zirkus, Federico Fellinis Die Nächte der Cabiria oder Wim Wenders’ Der Himmel über Berlin. Der Zirkus bietet wandernden Künstlern aller Genres eine Heimat, und auch grotesken Figuren, die eher Ungeheuern ähneln.

Die verspielt-märchenhaften Skulpturen waren für Mulas sehr inspirierend, sie kitzelten seine verspielteste Seite heraus, seine Nähe zur Sprache der Kleinsten, und so kam eine Serie mit Aufnahmen zustande, die voller Zärtlichkeit und Ironie stecken. Davon zeugt die Auswahl der hier ausgestellten 36 Fotografien aus den Jahren 1963/64 – Silbergelatineabzüge auf Barytpapier, die der Fotograf selbst anfertigte (Vintage) –, die uns nicht nur am Werk des großen amerikanischen Meisters, sondern auch an seinem schöpferischen Geist teilhaben lassen.

Ugo Mulas - Circus Calder
31. Januar bis 18. Mai 2014