Trister Alltag, lakonische Antihelden: Die Welt des Aki Kaurismäki

Kaum eine Chance haben die Protagonisten in den Filmen des Finnen Aki Kaurismäki: Die Umstände sind gegen sie, Arbeitslosigkeit Demütigungen und soziale Ausgrenzung bestimmen ihr Leben. Das Kinok in St. Gallen widmet diesem Meister des lakonischen und aufs Äußerste verdichteten filmischen Erzählens bis Ende Februar mit restaurierten und digitalisierten Fassungen seiner Filme eine Retrospektive.

Geschlagen sind die Helden des 1957 geborenen Finnen Aki Kaurismäki, die gesellschaftlichen Verhältnisse und das heißt hier vor allem die Arbeitslosigkeit setzt ihnen mächtig zu, nur ihre Würde und die Sehnsucht nach dem Glück kann ihnen niemand nehmen.

An sich sind diese Geschichten immer Tragödien, doch durch die kaum zu überbietende Prägnanz und Lakonie der Inszenierung entwickelt sich auch noch - oder gerade - in den Momenten größter Hoffnungslosigkeit eine von tiefer Menschlichkeit getragene, herzerwärmende Komik.

Fliehen aus trostlosen Verhältnissen will schon eine Gruppe von Rockmusikern in Kaurismäkis zweitem Spielfilm "Calamari Union" (1985). Glück verspricht hier ein anderer, den Protagonisten unbekannter Stadtteil Helsinkis, doch die Odyssee durch den Dschungel der Großstadt endet in dieser Mischung aus Farce und existentialistischem Drama für die meisten tödlich.

Düster ist die Welt auch in "Hamlet macht Geschäfte" (1987), in dem der Industriellensohn Hamlet die Ermordung seines Vaters rächt, dadurch aber neues Unheil heraufbeschwört und schließlich selbst zugrunde geht. Shakespeares Drama wird hier mit den Stilmitteln des amerikanischen Gangsterfilms erzählt und mit schwarzem Humor übt Kaurismäki bittere Kritik am Kapitalismus.

In "Ariel" (1988) lässt die Schließung einer nordfinnischen Zeche Taisto nach Helsinki aufbrechen, doch unterwegs wird er überfallen. Die Abfindung wird ihm gestohlen und er muss bei der Heilsarmee Unterkunft suchen. Als er einer Politesse begegnet, scheint sich alles zum Guten zu wenden, doch um den Traum von der Flucht nach Mexiko zu verwirklichen, überfällt er eine Bank.

Die Kamera bewegt Kaurismäki kaum, er erzählt in langen starren Halbtotalen, reiht lakonisch Einstellung an Einstellung. Die Farben sind den Bildern förmlich ausgetrieben, reduziert auf kalte Blau- und Weißtöne. Jede äußere Bewegung wird negiert, Schnörkel gibt es keine, Ellipsen bestimmen den Erzählduktus - der Finne ist ein Meister der Aussparung.

Nichts wird dramatisiert: Das Leben ist, wie es ist - nichts kann daran geändert werden. Stoisch nehmen die Figuren ihr Schicksal an. Die Schauspieler agieren mit äußerstem Minimalismus. - Nicht nur diese Lakonie und Prägnanz, auch der bittere Humor, durch den die Trostlosigkeit immer wieder aufgebrochen wird, erinnert an die Filme von Jim Jarmusch.

Von der radikalen Strenge eines Robert Bresson geprägt ist "Das Mädchen aus der Streichholzfabrik" (1989), der zusammen mit "Schatten im Paradies" (1986) und "Ariel" die sogenannte "Proletarische Trilogie" bildet.

Eine Maschine zersägt Baumstämme zu dünnen Holzplatten, eine andere stanzt aus den Platten Holzstifte. Eine Maschine ordnet die Stifte, eine weitere überzieht ein Ende der Stifte mit Phosphorköpfen, die nächste verpackt diese in Schachteln, die letzte etikettiert die Schachteln. - Iris (Kati Outinen) muss diese Etiketten kontrollieren und statt Musik begleiten Maschinengeräusche die Szene.

Dokumentarisch zeigt Kaurismäki diesen Produktionsvorgang, starr, aber immer nah an den Prozessen ist die Kamera, einen Überblick über die Fabrik gewährt der Film jedoch nie. Alles ist eingesperrt, eng, fragmentiert. - Ein Ausbrechen scheint unmöglich.

Bei Mutter und Stiefvater erfährt Iris nur Demütigungen. Als sie auch noch von ihrem Liebhaber sitzengelassen wird, rächt sie sich mit Rattengift.

An Unerbittlichkeit und Stringenz ist diese 70minütige Tragödie nicht zu überbieten. Kein Bild zu viel und keines zu wenig, Reduktion der Dialoge auf ein Minimum und Glück gibt’s nur in Iris‘ Liebesromanen und in den melancholischen Liedern der Tanzkapellen.

Auch in den in London beziehungsweise Paris gedrehten "I hired a Contract Killer" (1990) und "La vie de Bohème" (1992) bestimmen Arbeits- und Hoffnungslosigkeit das Leben von Kaurismäkis Protagonisten. Engagiert in "I hired…" ein entlassener Arbeiter (Jean-Pierre Leaud) einen Killer, den er aber wieder stoppen will, als er sich verliebt, so stehen im Zentrum der Verfilmung von Henri Murgers 1851 erschienenem Roman "Scènes de la vie de bohème" mittellose Pariser Künstler.

Immer wieder kippen dabei tragische Momente in rührende Komik und durch den warmherzigen Blick des Finnen schimmert hinter allem Elend und aller Trostlosigkeit die Schönheit des Lebens durch.

Dieser geradezu märchenhafte Glaube an das Glück im Elend - jede Hoffnung auf Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse scheint Kaurismäki längst aufgegeben zu haben – durchzieht auch "Wolken ziehen vorüber" (1996). Zwar verliert auch hier ein Paar seine Jobs und leidet unter dem frühen Tod eines Kindes und Verschuldung, doch plötzlich taucht eine Gönnerin auf, mit deren Hilfe der Traum vom eigenen Restaurant verwirklicht werden kann.

So verzweifelt auch die Situation sein mag, so warmherzig ist der Blick Kaurismäkis. Die Würde, die die sozialen Verhältnisse diesen vom Leben Geschlagenen rauben wollen, gibt der Regisseur ihnen zurück. Herzzerreißend ist "Wolken ziehen vorüber" in seiner Traurigkeit und entwickelt doch gleichzeitig durch die lakonische Erzählweise und die knochentrockenen Dialoge größte Komik.

Nicht einmal eine Wohnung hat der Protagonist in "Der Mann ohne Vergangenheit" (2002), der bei einem Überfall sein Gedächtnis verloren hat, sondern lebt in einem Container auf einem Schrottplatz. Doch gerade von dem dort lebenden Lumpenproletariat erfährt er eine Solidarität und eine Mitmenschlichkeit, die der Gesellschaft längst abhandengekommen sind.

Dieses Mitgefühl hebt auch den Wachmann in "Lichter der Vorstadt" (2003) von seiner Umwelt ab, macht ihn aber auch zum idealen Opfer für Gangster, sodass er bald nicht nur seinen Job verliert, sondern auch im Gefängnis landet. Doch trotz aller Niederschläge steht am Ende, wenn sich zwei Hände berühren – eine Reverenz an Robert Bressons "Pickpocket", ein sanftes Zeichen der Hoffnung.

In "Le Havre" (2011), seinem bislang letzten Film, richtet der Finne, der nach beinahe 20 Jahren erstmals wieder in Frankreich drehte, seinen Blick auf das Flüchtlingselend und erzählt von einem Schuhputzer, der einen jungen afrikanischen Flüchtling versteckt.

So real und aktuell das Thema ist, so märchenhaft ist der ganze Film, denn einerseits spielt die Handlung in der Gegenwart, andererseits erzeugen die gleichermaßen sauber hergerichtete wie verkommene Arbeitersiedlung, alte Autos und Telefone mit Wählscheiben eine 1950er Jahre Atmosphäre.

Weil jede Einstellung hier aber penibel ausgestattet und kadriert, jeder Farbtupfer überlegt gesetzt ist, entsteht kein Bruch, sondern ein harmonisches Ganzes, mit dem der erklärte Pessimist mit ungewohntem Optimismus und Warmherzigkeit der europäischen Flüchtlingspolitik trotzt und wiederum die Menschlichkeit und Solidarität der Underdogs der kalten Bürokratie entgegensetzt.

Dass Kaurismäki dabei sogar mehrfach die Bergpredigt zitiert, konnte man sich bisher wohl kaum vorstellen. – Aber Wunder geschehen eben nicht nur in Filmen, sondern manchmal sind Filme selbst auch so ein Wunder.

Trailer zu "Le Havre"