Traum und Wirklichkeit

Die zweite Orient-Ausstellung im Zentrum Paul Klee richtet das Augenmerk auf Kunst aus dem modernen, dem heutigen "Orient": Die multidisziplinär angelegte Werkschau lädt ein zu einer Reise durch die Gegenwart der Länder des Nahen Ostens, wobei touristische Klischees, Miserabilismen und stigmatisierende Oberflächlichkeit umgangen werden.

"Real Fiction"-Arbeiten im Spannungsbogen von dokumentarischem Filmmaterial werfen einen zeitgenössischen und zeitgemässen Blick auf das Gebiet, hoch ästhetisierte und fiktive Videos erweitern das Bild auf subjektive und poetische Weise. Physisch stark präsente, installative Werke wie der Grundriss von Beirut als ein in Kautschuk gegossener riesiger Teppich von Marwan Rechmaoui vertiefen die emotionale und sinnliche Ausstrahlung der Ausstellung. Hörstationen des Berner Musikethnologen Thomas Burkhalter und dessen Organisation "Norient" sowie Live-Musikperformances unterstreichen diese Sinnlichkeit.

Videoarbeiten von Hala Elkoussy und Hatice Güleryüz zeichnen teils dokumentarisch, teils subjektiv und poetisch Porträts der Städte Kairo und Istanbul. Das in Grüntönen gestrichene Mietshaus, das Ergin Cavusoglu in der Videoarbeit "Empire- After Andy Warhol" vorführt, könnte auch in Bern stehen, wäre da nicht das kleine Minarett auf dem Dach, von dem beim Eindunkeln der Ruf des Muezzin ertönt. Im Auftrag des Zentrum Paul Klee schafft der von der documenta 12 bekannte türkische Künstler Halil Altindere das Werk mit dem Titel "Mirage" und thematisiert in dieser Synchronmontage das globale Gut Wasser mit Bildern aus der trockensten Region der Türkei im Südosten des Landes, das in Folge eines Dammbaues überflutet werden soll. Amal Kenawy setzt ihre bis zum Albtraum ausartenden Zeichnungen in dichte, beklemmende Trickfilme um, wie in der Arbeit "The purple artificial forest". Arbeiten von Atlas Group aus dem Libanon führen fiktive historische Ereignisse so vor, dass sie als Tatsachen gelesen werden. Unter Kunst aus dem Nahen Osten verstehen sich in dieser Ausstellung auch Werke von Schweizer Kunstschaffenden wie San Keller, Chalet 5, Davide Cascio und Michael von Graffenried, die als artist-in-residence in Kairo waren.

Die Ausstellung, die sich nicht nur zwischen "Traum und Wirklichkeit" abspielt, sondern auch die Grenzen von Intimität und Öffentlichkeit auslotet, umfasst auch Alltagsgegenstände aus dem Orient des 20. Jahrhunderts. Und die Ausstellungsarchitektur öffnet sich schliesslich zu einem Innenhof, in dem ephemere, "vergängliche" Kunst - wie Performances, Konzerte oder Lesungen - ihren Platz findet.

Zur Moderne des Orients gehört das Kino. Die in der Ausstellung selber gezeigte Filmauswahl aus verschiedenen Ländern vermittelt einen Einblick in die Vielfalt der Filmkulturen. Im von der trigon-film zusammengestellten filmischen Rahmenprogramm finden sich datrüberhinaus Werke vom traditionellen Erzählkino über die Wüstenballaden hin zum Genrespiel und der Reduktion der Moderne. Gesellschaftliche Fragen werden darin genauso behandelt wie existenzielle, Konflikte sind präsent wie die Suche nach dem Eigenen und den kulturellen Wurzeln.


Traum und Wirklichkeit

Zeitgenössische Kunst aus dem Nahen Osten
28. Februar bis 16. August 2009