Thomas Chimes – Into the white

Mit Thomas Chimes (1921-2009) stellt die Galerie der Stadt Tuttlingen – erstmals in Deutschland - den aus einer griechischen Familie stammenden Amerikaner vor, der auf vielfältige Weise mit der europäischen Kultur verbunden war und mit seiner Kunst eine neue Synthese aus alter und neuer Welt herstellte. In einer Bilderserie von Porträts ging es ihm rückblickend um die visuelle Beschwörung von Künstlern und Autoren der Avantgarde des 20. Jahrhunderts.

Unabhängig von Ort und Zeit suchte er in dieser Serie die geistige Zwiesprache mit Seelenverwandten. Wie Geister aus dem Jenseits erscheinen die nach dem Vorbild von Schwarzweißfotografien gemalten Gesichter hinter einem transparenten Schleier von Weiß.

Thomas Chimes macht durch die Wahl seiner Bildmotive deutlich, dass ihn Figuren faszinierten, die in vielerlei Hinsicht Grenzgänger waren und in ihrer Zeit geistiges Neuland betraten. Allen voran spielt Alfred Jarry (1873 – 1907) eine wichtige Rolle, aber auch Figuren wie Antonin Artaud (1896 – 1948), James Joyce (1882 – 1941) und Erik Satie (1866 – 1925) tauchen in seinen Bildern auf. Eine ganz wesentliche Inspirationsquelle für die weißen Gemälde bildete die Schlussszene von James Joyces melancholischer Kurzgeschichte "Die Toten" aus dem Jahr 1914, in welcher ein Zeitungsartikel angeführt wird, der bekannt gibt, dass "Schnee über ganz Irland verbreitet" sei. Nach Meinung von Chimes war es derart selten, dass über ganz Irland Schnee fiel, dass Joyce mit diesem Textabschnitt eine Metapher für das Verstreichen der Zeit sowie auch eine tiefgründige Betrachtung über die Natur von Erinnerung, Sterblichkeit und Tod beabsichtigt haben musste.

In den Bildern der Spätphase, die so etwas wie die kulminierende Summe aller bisherigen Beschäftigungen darstellt, verschwindet das malerische Element zugunsten einer zeichenhaften Konturenlinie, die sich plastisch von dem in vielen lasierenden Schichten auf Holztafeln aufgetragenen weißen Bildgrund abhebt. Der objekthafte Charakter der Tafeln und die eigenartige Perfektion erinnert an die Serie der so genannten "Metal Boxes", die der Künstler in den späten 60er und frühen 70er Jahren geschaffen hatte. Emblematische Zeichen, minuskelhafte Texte und kryptische Chiffren halten nun Einzug in die reduzierte und zugleich mit Bedeutung aufgeladene Bildwelt.

Mit dem Quadrat als beherrschendem Format, der Berücksichtigung der Regeln des goldenen Schnitts sowie der oft eingeschriebenen Kreisform kommt Chimes‘ lebenslange Faszination für die Idee zum Ausdruck, in der Mathematik liege eine Möglichkeit der Aufschlüsselung von Gott und Welt. Die strenge Anordnung der oft mehrteiligen Bilder (es können bis zu 25 sein) verbindet diese Werkgruppe mit dem Minimalismus, dessen Hauptmerkmal in der Ordnung von Rastern liegt. Doch bei aller formalen Annäherung, nichts lag Chimes ferner als der minimalistische Verzicht auf eine über das reine Objekt hinausgehende Sinndimension. Das Spiel mit der Anzahl von Elementen in einer Reihe birgt für ihn einen Fundus an Möglichkeiten, um die Mystik der Zahlen und die Metrik visueller Poesie zur Geltung zu bringen.

Thomas Chimes – Into the white
17. Mai bis 16. Juni 2013