Tell im Visier

Am 15. November 2007 eröffnete die Schweizerische Nationalbibliothek die Ausstellung "Tell im Visier". Rund hundert Plakate zeigen, wie populär der Nationalheld in der Werbung war und ist. Sie machen gleichzeitig die entscheidenden Entwicklungen der schweizerischen Plakatkunst sichtbar. Die Ausstellung ist bis zum 30. März 2008 zu sehen.

Der Mythos Tell lebt. Dies beweist ein Blick auf die Plakate, die die Graphische Sammlung der Schweizerischen Nationalbibliothek in den letzten hundert Jahren gesammelt hat. Die Plakatsammlung umfasst inzwischen rund 40"000 Exemplare. Erstmals ist jetzt eine Auswahl daraus zu sehen. Die ca. hundert ausgestellten Plakate thematisieren Tell in allen seinen Facetten. Das Plakat als Massenmedium hat wesentlich dazu beigetragen, dass sich Tell als Personifizierung von Freiheit in unserem Bewusstsein festgesetzt hat. Die Ausstellung zeigt, wie der schweizerische Nationalheld für Produkte, Tourismusorte, Events und politische Kampagnen wirbt. Die Vorstellungen, die sich mit Wilhelm Tell verbinden, wurden im wesentlichen von Friedrich Schillers gleichnamigem Drama geprägt.

Jede Schweizerin, jeder Schweizer weiss, wie Tell aussieht. Diese Vorstellung hat vor allem eine Person geformt: Richard Kissling. Er schuf 1895 das Tell-Denkmal in Altdorf. Der zuversichtliche Held, auf seiner Schulter die Armbrust tragend, mit dem anderen Arm liebevoll seinen Sohn umarmend, schreitet ruhig und selbstbewusst voran. Kissling lehnte sich bei der Darstellung Tells an antike Helden an. Es erstaunt deshalb nicht, dass die massive Altdorfer Bronzestatue immer wieder Eingang in die Plakatkunst findet. So verpasste beispielsweise Levi’s dem Helden in den 1970er Jahren knappe Jeans. Die Schweizerische Volkspartei wechselt in einer diesjährigen Initiative gegen die Legalisierung von Drogen dessen Armbrust mit einer Spritze aus. Kisslings nachhaltiger Einfluss lässt einen anderen bedeutenden Künstler, Ferdinand Hodler und dessen Tell verblassen.

Der Rütlischwur ist vor allem für politische Kampagnen beliebt. Parteien jeden Lagers setzen ihn ein. Paul Senn verfremdete ihn 1935, indem er ein junges Paar mit ineinander verschränkten, hoch erhobenen Armen fotografierte. Das Plakat diente einem Vorstoss der Sozialdemokraten für die Gleichstellung von Mann und Frau. Etliche Plakate lehnen sich an den Rütlischwur an und interpretieren ihn neu, so etwa in der Darstellung einer Hand in der typischen Schwurgeste oder im Spiel mit der Zahl drei, meist in Form von drei abgebildeten Personen.

Der Hut Gesslers, die Armbrust Tells und der Apfel auf Walters Kopf: Dies sind die Symbole aus Schillers "Wilhelm Tell", die im Plakat immer wieder auftauchen. Alex Walter Diggelmann hat etwa Gesslers Hut im Jahr 1931 für das Plakat der Tellspiele Interlaken 1931eingesetzt, seither wirbt er für diese Inszenierung des schillerschen Dramas. Oft aber erscheint der Hut als Symbol der Unterwerfung, wie etwa in einer ironisch inszenierten Initiative gegen das "Bell"-Schlachthaus aus den 1940er Jahren, oder als Mahnung gegen unerwünschte Fremdbestimmung und Machtausübung.

Inbegriff für Schweizer Qualität ist nach wie vor die Armbrust. Sie etablierte sich bereits in den 1930er Jahren als selbständiges Plakatsujet und diente vorab der Werbung für Schweizer Produkte. Die Kampagnen sollten Kunden in diesen Krisenjahren dazu animieren, die einheimische Wirtschaft zu unterstützen. Die Armbrust als Gütesiegel ist heute wieder sehr aktuell.

Jeder macht sich ein Bild vom Apfelschuss, jedoch niemand hat ihn je gesehen. Der Apfelschuss wird nie dargestellt, selbst bei Schiller nicht. Über diesen Vorgang scheint ein Bildverbot verhängt zu sein. Den Apfel selbst jedoch – ob mit dem Pfeil durchbohrt oder nicht – machen sich Plakatschaffende immer wieder zunutze. Oft ist der Zusammenhang zum Mythos nur angedeutet, so etwa in dem Plakat von Eugen Spitteler aus dem Jahre 1973. Er zeichnete ein durchbohrtes Ei, das zum Verzehr von Schweizer Eiern animieren sollte.


Katalog: Zur Ausstellung erscheint im Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich, eine gleichnamige Publikation mit 150 farbigen Plakatabbildungen. Der Einfluss Tells auf die Plakatkunst wird in einem ausführlichen kunsthistorischen Begleittext beleuchtet. Dazu skizzieren ein Dutzend Essays, welche Rolle Tell in Literatur und Kunst bis heute spielt.

Tell im Visier
16. November 07 bis 30. März 08