Sitting Bull und seine Welt

Sitting Bull – Freiheitskämpfer, "Heiliger Mann", Volksverhetzer und Störenfried, Poet und Maler, Medienstar. Seit jenem 4. Juli 1876, an dem eine bestürzte amerikanische Öffentlichkeit ausgerechnet am 100. Jahrestag der Unabhängigkeit erstmals vom "Sieger der Schlacht am Little Bighorn" erfuhr, in der das 5. U.S.-Kavallerieregiment aufgerieben und dessen Anführer, der Volksheld George Armstrong Custer zu Tode kam, hat die veröffentlichte Meinung ein zutiefst widersprüchliches Bild von Tatanka Iyotanka, dem "Sitzenden Bisonstier", gezeichnet.

"Er sagte niemals die Wahrheit, wenn ihm eine Lüge dienlicher war", behauptete eine der ersten Biographien dieses Manns, erschienen kurz nach dem 15. Dezember 1890, an dem der Hunkpapa-Häuptling in einem Feuergefecht ums Leben kam, als er sich seiner Verhaftung durch Mitglieder der Stammespolizei widersetzte. Fast gleichzeitig beschrieb ihn ein anderer Zeitgenosse als "das Orakel der Geheimnisse und Kenntnisse, die der Masse verborgen sind, selbst den Häuptlingen, die seinen Worten und seiner Autorität Gehör gaben als dem höchsten und letzten Ausdruck der Weisheit." Ähnlich umstritten war er unter seinen eigenen Leuten, die seinen Kriegsruhm anerkannten, vor seinem Zugang zu den außermenschlichen Mächten der Welt erschauerten, seine Politik des Verweigerung gegenüber den übermächtigen U.S.A. am Ende aber überwiegend ablehnten.

Der Mann, der 1884 den Kapitalismus kritisierte ("Der Weiße Mann versteht es zwar Güter herzustellen, nicht aber sie zu verteilen"), wird heute als Vorbild heroischer Managementstrategien gefeiert. Seine spirituelle Naturverbundenheit und sein Antiamerikanismus machen ihn zum Gewährsmann aller Vorkämpfer alternativer Lebensformen. Bekanntheitsgrad und Sympathiewerte ließen ihn posthum zum Werbeträger unterschiedlicher Produkte werden. Zu seinen Lebzeiten und danach zählte Sitting Bull zu den am häufigsten porträtierten "Indianern".

Die Keule, die er auf einer der letzten Fotografien in der Hand hält, kennzeichnet ihn als unreformierten Krieger; das Kruzifix um den Hals als Kandidaten für eine baldige Bekehrung; eine dunkle Brille ist das Eingeständnis einer teilweisen Gesichtslähmung, die ihn zunehmend behinderte; die Vielfalt seiner Kopfbedeckungen spiegelt die Vielfalt seiner Rollen. Das öffentliche Gesicht zeigt erhabenen Ernst oder kaum verborgenen Groll, während auf Familienfotos das Lächeln des privaten Sitting Bull zeigt, der den Frauen zugetan war und seiner Kinder und Enkel liebte.

Die Widersprüchlichkeit der vielen Gesichter spiegelt aber nicht nur die unbestrittene Vielschichtigkeit der Persönlichkeit eines wirklichen Menschen. Wie kaum ein anderer verkörpert er bis heute als unsterbliches Sinnbild einer zum Untergang bestimmten Welt alle inneren Gegensätze der westlichen Anschauungen vom "Indianer". Niemand hat ein so grausames Schicksal verdient. Die Suche nach dem "wirklichen Sitting Bull" ist also auch ein Akt der Wiedergutmachung.


Sitting Bull und seine Welt

10. Dezember 2009 bis 15. März 2010