Sepik – Kunst aus Papua-Neuguinea

Die ersten Masken, Trommeln und Schnitzereien aus Papua-Neuguinea, die vor über hundert Jahren nach Europa gelangten, waren eine Sensation. Die Ritual- und Alltagsgegenstände vom Sepik, dem längsten Fluss des Inselstaates, begeisterten Forscher und beeinflussten Expressionisten und Surrealisten. Erstmals zeigt das Museum Rietberg den kreativen Reichtum und die Vielfalt der Kulturen in einer umfangreichen Ausstellung.

Der Sepik windet sich über fast 1‘200 Kilometer durch Sümpfe und tropischen Regenwald, bevor er im Norden von Papua-Neuguinea den Pazifik erreicht. Der Fluss bestimmt das Leben der Menschen in dieser Südseeregion: Er ist Nahrungsgrundlage und Transportweg und bildet mit Überschwemmungen und Krokodilen zugleich eine Quelle der Gefahr. Entlang der Ufer und der unzähligen Seitenarme hat sich über Jahrtausende eine enorme Vielfalt an Kulturen und Sprachen entwickelt. Allein im Gebiet des Mittel- und Unterlaufs, worauf sich die Ausstellung im Museum Rietberg konzentriert, werden rund 90 verschiedene Sprachen gezählt. Die kleinsten Sprachgruppen beschränken sich auf einzelne Dörfer mit 300 bis 400 Bewohnern.

Der Überfluss an Nahrungsmitteln, den der Sepik den Menschen bot, erlaubte die Entwicklung komplexer Rituale und Zeremonien, die Anlass zur Herstellung zahlreicher Gegenstände gaben. Dabei kommt den Ahnen eine zentrale Rolle zu. Sie haben die Welt geschaffen und sind im Alltags- und im Ritualleben stets präsent. Ihre Stimmen sind aus Wassertrommeln und Bambusflöten zu vernehmen. Furchteinflössende Ahnenfiguren und phantasievoll gestaltete Masken werden bei Initiationsritualen eingesetzt, die bis zu einem Jahr dauern können. In einigen Dörfern werden die Körper der Knaben bei Initiationen mit spektakulären Ziernarben geschmückt, die Bisse von Ahnenkrokodilen darstellen. Die Krokodile verschlingen symbolisch die frisch Initiierten und speien sie am Ende der Initiation wieder aus.

Der Sepik war lange Zeit von Entdeckern und Reisenden übersehen worden. Zwar waren im 16. Jahrhundert die ersten Europäer auf der Insel Neuguinea gelandet, zu der Papua-Neuguinea gehört, doch die Flussmündung des Sepiks wurde erst 1886 im Rahmen des Aufbaus einer deutschen Kolonie von Forschern entdeckt. Es sollte jedoch noch Jahre dauern, bis Forschungsreisen zum Sepik organisiert wurden, darunter die Hamburger (1908-1910) und die Berliner Südsee-Expedition (1912/13). Einige der schönsten Ausstellungsobjekte, die im Museum Rietberg gezeigt werden, gelangten bereits in dieser Zeit nach Europa.

Rasch wurde in Europa der ausserordentlich hohe ästhetische Wert der Kunst vom Sepik erkannt. Auch Künstler bedienten sich der unbekannten Bildsprache der Schnitzwerke, die expressionistische Künstlergruppe Brücke mit Emil Nolde und Max Pechstein wie auch die Surrealisten waren fasziniert von der handwerklichen Virtuosität und der poetischen Schönheit der Gegenstände aus Ozeanien. Ungewöhnliche Materialien wie Schnecken, Federn, aber auch Knochen und Tierzähne erregten Aufsehen.

Erstmals überhaupt widmet das Museum Rietberg der Kunst aus Papua-Neuguinea eine Ausstellung; die Kunst aus Ozeanien stand letztmals 2002 im Fokus einer Schau. Die Ausstellung "Sepik – Kunst aus Papua-Neuguinea" zeigt eine Synthese des Kunstgebiets und wertet Forschungsreisen auf dem Sepik aus. 170 Kunstwerke werden zu sehen sein, unter anderem des Museums der Kulturen Basel und des Ethnologischen Museums Berlin – beides wichtige Zentren der Sepik-Forschung. Zusätzlich zu den gezeigten Objekten beleuchten grossformatige Fotografien, Audio- und Filmbeispiele das Leben am Sepik von früher und heute.

Den Einstieg in die Ausstellung macht ein aufwändig geschnitztes Boot in der Form eines Krokodils. An der Länge von zwölf Metern lässt sich die Grösse des Sepiks erahnen. Mit solchen sogenannten Einbäumen wurden Waren und Objekte getauscht, Heiratspartner gesucht, aber auch Kriege und Kopfjagden geführt. Bis heute sind sie das wichtigste Transportmittel am Sepik. Vom Fluss führt der Weg der Ausstellung in ein idealtypisches Dorf. Es gibt die soziale Organisation wieder: In den Gemeinschaften entlang des Sepiks ist die Welt der Frauen strikt von jener der Männer getrennt. Die von Frauen dominierten Bereiche mit den Wohnhäusern sind öffentlich und für alle Familienmitglieder, Freunde und Gäste zugänglich. Hier bereiten die Frauen die Nahrung und stellen auch Netztaschen, Flechtarbeiten und reich verzierte Töpferwaren her.

Weiter führt der Rundgang zum Männerhaus – dem Mittelpunkt der Welt der Männer und des Zeremoniallebens. Diese imposanten Gebäude dürfen nur von initiierten Männern betreten werden. Sie erinnern durch ihre hohe Dachkonstruktion und die überbordende Aussen- und Innenausstattung an europäische Sakralbauten. In den Männerhäusern werden die Gegenstände für die geheimen Rituale der Männer und die Initiation der Knaben aufbewahrt, darunter Speere, Masken und auch Tiertrophäen wie der Schädel eines kleinen Krokodils, dessen Augen leuchtend blau sind. Zu sehen sind auch zahlreiche Musikinstrumente, die mit ihrem Klang Ahnen verkörpern: bis zu zwei Meter lange Bambusflöten, deren grosse Figurenaufsätze mit wilden Frisuren geschmückt sind, oder Schwirrhölzer, die Stimmen von Krokodilen wiedergeben und bei Initiationen eine wichtige Funktion einnehmen. Höhepunkt der Ausstellung bilden zwei sieben Meter lange Holzskulpturen, die in ihrer mehrdeutigen Gestalt – mal menschliches Antlitz, mal Krokodil, mal Schlange, mal Vogel – die Welt der Ahnen verkörpern.


Katalog: "Tanz der Ahnen – Kunst vom Sepik in Papua-Neuguinea", Hrsg. Peltier, Philippe, Schindlbeck, Markus und Kaufmann, Christian; Hirmer Verlag GmbH, München: Hardcover, 352 Seiten, 287 Abbildungen meist in Farbe, 24,5 × 29 cm, CHF 55; CHF 65 im Buchhandel

Sepik - Kunst aus Papua-Neuguinea
10. Juli bis 4. Oktober 2015