Selbstporträts von Samuel Fosso

Samuel Fosso zählt zu den renommiertesten zeitgenössischen Fotografen Afrikas. Er gab der großen Tradition der afrikanischen Studiofotografie eine neue Wendung, indem er seit Mitte der 1970er-Jahre eine eigenständige Form eines explizit theatralischen Selbstporträts entwickelte und sukzessive verfeinerte.

In seinen Selbstporträts verbindet Fosso Fotografie und Performance und verknüpft autobiografische Themen und Selbstkonzeptionen mit politischen und historischen Perspektiven. Sie sind Ausdruck der Komplexität und Vielfalt von zeitgenössischen Identitäten und eine Erkundung der Beziehungen zwischen Afrika und dem Osten und Westen in der Ära des Postkolonialismus und der Globalisierung.

In seinen autofiktionalen Selbstporträts mit kunstvollem Make-up und aufwendigen Kostümen, Requisiten und Kulissen stellt Fosso nicht in erster Linie sich selbst dar, sondern vollzieht eine Transformation seiner Person. Er schlüpft in Rollen und leiht sich Identitäten aus – von historischen Schlüsselfiguren ebenso wie von gesellschaftlichen Archetypen, die im global vernetzten Bildgedächtnis oftmals tief verankert sind. Durch die Verkörperung hinterfragt er die mediale, soziale und politische Wirkung dieser Ikonen und Repräsentationen; seine eigene Person nutzt er als Stellvertreter und Katalysator. Fossos Selbstporträts sind hochartifizielle szenische Darstellungen, die auf der Bühne des Fotostudios entstehen, wo er gleichzeitig als Fotograf, Darsteller und Regisseur agiert. Mit analytischem Blick und schauspielerischem Talent gelingt es ihm, gesellschaftliche Codes von Körper, Kleidung, Pose, Gesichtsausdruck und Blick sowie kollektive Identitätszuschreibungen von Geschlecht, sexueller Orientierung, ethnischer und sozialer Herkunft aufzudecken und virtuos zu unterlaufen.

1975, im Alter von 13 Jahren, eröffnete Fosso nach einer kurzen Lehre sein eigenes Studio für Porträtfotografie. Der Erfolg seines Studios beruhte auf seinem Gespür für Mode und Ästhetik und seinem Talent, seine Kund:innen zu ermutigen, ihren persönlichen Stil zu zeigen. Tagsüber porträtierte er seine zahlende Kundschaft, abends jedoch stellte er sich selbst vor die Kamera und inszenierte sich, inspiriert von westafrikanischer und afroamerikanischer Musik, Jugendkultur und politischer Rebellion, in engen Hemden, extravaganten Schlaghosen und Plateauschuhen sowie mit ausgefallenen Requisiten in freien, ungezwungenen Posen. So entstand Fossos frühe experimentelle Serie ausdrucksstarker Schwarz-Weiß-Selbstporträts, die unter dem Titel "70’s Lifestyle" (1975–78) bekannt wurde.

Die Selbstporträts blieben lange Zeit privat. 1994 wurden sie auf Initiative des französischen Fotografen Bernard Descamps zum ersten Mal auf der Eröffnungsausgabe der "Bamako Encounters – African Biennial of Photography" ausgestellt. Die Selbstporträts fügten der Tradition der westafrikanischen Studiofotografie, die in den 1990er-Jahren große Bekanntheit erlangte, einen wichtigen Aspekt hinzu. In 70’s Lifestyle entwirft Fosso ein alternatives Bild von Männlichkeit, in dem er spielerisch Konventionen der Darstellung von Körper, Geschlecht und Sexualität durchkreuzt. Fossos Selbstporträts basieren auf einer selbstbewussten Haltung; sie sind Ausdruck einer Suche nach neuen Identitätskonzepten nach der frühen Zeit des postkolonialen Umbruchs in den 1960er-Jahren und zugleich eine Geste der Befreiung von dem Leid, das er als Flüchtling in Nigeria und unter dem repressiven Bokassa-Regime in der Zentralafrikanischen Republik erfahren hat. Künstlerische Aspekte wie das Theatralische und die Aneignung von Medienbildern, die Fosso in "70’s Lifestyle" entwickelt, werden von da an zu Konstanten in seinem Werk. 1997 beauftragte die französische Kaufhauskette Tati Fosso mit der Konzeption einer neuen Werkgruppe. Fosso entwickelte eine Serie von Selbstporträts in intensiven Farben, von denen einige zu Ikonen wurden. Mit seinem charakteristischen Stil der aufwendigen und präzise reflektierten Maskerade, Verkleidung und Szenerie und einem deutlichen Hang zur satirischen Darstellung wechselt er innerhalb der Tati-Serie zwischen einer Reihe von kontroversen Identitäten. Unter anderem verkörpert er Archetypen afrikanischer und westlicher Gesellschaften wie den Stammeshäuptling, den Golfer und die "befreite" afroamerikanische Frau.

Das Herzstück der Serie, "Le Chef (qui a vendu l’Afrique aux colons) (The Chief [Who Sold Africa to the Colonists])", ist sowohl eine Hommage an afrikanische Stammesführer als auch eine Kritik an den Verlockungen der Macht im Zeitalter des europäischen Kolonialismus.

In späteren Werkserien wie "African Spirits" (2008) und "Emperor of Africa" (2013) verleiht Fosso seinem Werk einen deutlichen politischen Zug. In "African Spirits" verkörpert er historische Protagonist:innen der panafrikanischen Unabhängigkeits- und Bürgerrechtsbewegung wie Angela Davis, Patrice Lumumba, Haile Selassie, Martin Luther King Jr. und Muhammad Ali. Die großformatigen Selbstporträts sind Reinszenierungen von historischen Bildern aus Magazinen und Zeitungen. Das satirischkritische Element von Tati weicht hier einem durch und durch ernsthaften Prozess der Identifikation und der Verlebendigung, bei dem Fosso nicht nur einen Bezug zu sich selbst herstellt, sondern in den täuschend echten Verkörperungen nahezu aufzugehen scheint. "African Spirits" ist eine Hommage an die Kämpfer:innen für Bürgerrechte und postkoloniale Unabhängigkeit. Zugleich verweisen die Porträts auf deren meisterhafte mediale Selbststilisierung, die zur Formulierung und Verbreitung politischer Ideale beitrug.

In seiner Serie "Emperor of Africa" thematisiert Fosso die tiefgreifenden Machtverhältnisse zwischen China und Afrika. Dazu schlüpft er in die Rolle des umstrittenen chinesischen Revolutionärs und kommunistischen Parteiführers Mao Tse-tung. In seinen Reinszenierungen stellt Fosso Mao nicht nur als Befreier, sondern auch als Symbol eines modernen Imperialismus dar. Während Chinas wachsende wirtschaftliche und kulturelle Präsenz von den afrikanischen Führern zunächst begrüßt wurde, löst die damit verbundene Machtausübung zunehmend Bedenken aus. "Als Performer ist Fosso sowohl Subjekt als auch Fragensteller, der Mann hinter der Maske, der das Imperiale und das Postkoloniale gleichermaßen hinterfragt." (Olu Oguibe)

In Kamerun geboren, verbrachte Samuel Fosso seine Kindheit zunächst in Nigeria. Nach dem Biafra-Krieg zog er nach Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik. Das eigene Studio für Porträtfotografie, das er dort als Teenager 1975 nach einer kurzen Lehrzeit eröffnete, führte er bis 2014. Sein Haus wurde im selben Jahr während eines Konflikts in der Zentralafrikanischen Republik geplündert. Das Fotoarchiv seines kommerziellen Studios, das dabei zerstört wurde, konnte später teilweise rekonstruiert werden. Der Künstler lebt und arbeitet in Bangui, Zentralafrikanische Republik, und Paris, Frankreich.

Samuel Fosso
Kurator: Jürgen Tabor
Bis 10. April 2023