Schweizer Werte

Die Schweiz steht, vor allem nach ihrem eigenen Verständnis, für Redlichkeit, Sauberkeit, Ordnung. Leistung und Pflichterfüllung sind Landestugenden. Sogar Friedlichkeit existiert, neben Käse und Schokolade, Almen und Alpen, als strapaziertes Klischee. Die mühselige, oft erzwungene Geschichtsaufarbeitung hat dieses Bild zerkratzt und unangenehme Wunden aufgerissen: Der Reichtum der Schweiz primär das Resultat spezifischer äußerer Umstände, politisch wie wirtschaftlich. Das wollen viele nicht wahrhaben. Das wollen viele weiterführen, so lange es geht.

Geht es immer noch mit Fluchtgeld? Gegen die Leitmacht USA hatten die Schweizer Banken, der Schweizer Staat wenig Chancen. Wenn"s ums Geld geht, hört die Freundlichkeit auf. Die Schweiz gab nach. Es folgten Vereinbarungen mit einigen europäischen Staaten. Die enormen Summen "geparkten" ausländischen Geldes, das in die Steueroase transferiert wird, soll wenigstens pauschal zugunsten der Herkunftsländer in der Schweiz besteuert werden. Klar ist, dass damit das Recht gebeugt wird in der Akzeptanz des illegalen Transfers. Denn transferiert wird nur, um die höheren heimischen Steuersätze zu vermeiden. In Österreich akzeptiert man lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.

In Deutschland gehen einige Länder andere Wege als die Bundesregierung, die auch so ein Abkommen mit der Schweiz unterzeichnet hat. Sie kaufen Bankdaten, mittels derer sie die Steuerflüchtlinge aufspüren und zur Kasse zwingen. Diesen Kauf interpretieren die Schweizer, zuletzt scharf die Schweizer Bundespräsidentin Evelyne Widmer-Schlumpf, als kriminelle Handlung. Es sei nicht nur illegal, geheime Daten zu erwerben, sondern es sei "näher an der organisierten Kriminalität als dem gesetzeskonformen Steuersystem", was völlig "inakzeptabel" sei.

Gesetzeskonformes Steuersystem. In der Schweiz. Was ist mit dem in Deutschland oder Österreich. Sind die nicht legal und gesetzeskonform? Hat das Bankgeheimnis zum Schutz von Fluchtgeld Vorrang, weil geschützt durch Schweizer Gesetze, vor dem Gesetzesbruch in den Herkunftsländern? Die Unterstellung organisierter Kriminalität ist skandalös. Die Schweiz, die sich seit langem an Geldwäsche und Fluchtgeldern bereichert, die aktiv Mithilfe zum Steuerbetrug, wenn nicht mehr, leistet, jammert über inakzeptable Praxen der Datenbeschaffung, die sie als mafiotisch, kriminell interpretiert.

Zwar sind die größten Geldwaschanlagen in Großbritannien, das sich erfolgreich gegen eine Transparenz des größten europäischen Finanzplatzes wehrt und ebenso erfolgreich die "Money Islands" (Kanalinseln) als Kronbesitz hält, die , offiziell unabhängig nicht der britischen parlamentarischen Hoheit oder Kontrolle unterliegen, und auch nicht der europäischen. Eine ertragreiche Sonderstellung. Aber die Geldhäfen der Schweiz sind auch nicht ohne. Zudem ist der Ruf der Schweiz als Bankenland, als Finanzparkland seit dem 2. Weltkrieg eingraviert. Doch die Schweiz ist klein und politisch nicht so stark wie das britische Königreich, das es sich leisten kann in der EU zu sein und doch nicht europäisch zu handeln, während die Schweizer nicht in der EU sind, aber sich bemühen (müssen), mittels X Abkommen europäisch zu agieren.

Auf lange Sicht wird sich der Status Quo nicht halten lassen. Sollten die Steuerabkommen wirken, werden sie wohl nach und nach angehoben werden. Sonst wird es immer wieder zu Ankäufen von sogenannten "Steuer-CDs" kommen, ob das die Schweiz nun als illegal bezeichnet oder kriminell. Denn krimineller als diese Ankäufe sind die illegalen Transfers, an denen die Schweiz verdient. Die Schweiz ist Partner und Kollaborateur im Steuerbetrug. Diese Tatsache blendet das Schweizer Rechtsverständnis gesetzeskonform aus. Sicher nicht auf ewig.