"Revolutionäres" Porzellan

Die Ausstellung "fragile" im Museum für Angewandte Kunst Frankfurt stellt die Frage nach der Tafelkultur Russlands und ermöglicht dem Besucher dabei auch einen Blick in die kulturelle Vielfalt des großen Reiches. Prachtvoll werden lange Tafeln im wahrsten Sinne des Wortes erstrahlen, wenn erstmals in Deutschland die herausragendste Porzellansammlung Russlands in großem Umfang zu sehen sein wird.

Das Rhein-Main-Gebiet mit seinen ausgeprägten historischen Beziehungen zu Russland ist dabei der ideale Standort für diese auch kulturhistorische Übersichtsschau, denn bis zum Ersten Weltkrieg trafen hier der russische Adel und das Großbürgertum auf die Saisonbesucher zahlreicher weiterer Nationen.

Das Porzellan aus Russland ermöglicht dabei nicht nur eine ästhetische Sichtweise, sondern gibt darüber hinaus einen breit gefächerten Überblick auf die russische Tafelkultur. Die Kultur der Tafel eröffnet einen zentralen Blick auf die russische Identität und auf russisches Selbstverständnis bis heute. Porzellan war nicht nur Gegenstand der Repräsentation, sondern auch Mittel der Diplomatie und der großen Politik, Definitionsversuch einer russischen Identität, zeitweise ein erheblicher Wirtschaftsfaktor und ein wichtiges Exportgut und nicht zuletzt Bestandteil der "Cuisine russe". Diese Kontextualisierungen ziehen sich wie ein roter Faden durch die gesamte Ausstellung.

Das Museum für Angewandte Kunst Frankfurt präsentiert in einer außergewöhnlichen Ausstellungsarchitektur, die nach Entwürfen des bekannten russischen Architekten und Ausstellungsgestalters Yuri Avvakumov realisiert wird, das Porzellan der Revolution. "Ästhetisierung des Lebens", "Neue Gesellschaft – Alte Bürgerlichkeit", "Propaganda- und Agitationsporzellan", "Die Russische Avantgarde", "Ende des Aufbruchs im Stalinismus" sind die Kapitel, die den Besucher durch die Ausstellung führen werden. Suprematistische und konstruktivistische Exponate von Tatlin, Malewitsch und Suetin werden konfrontiert mit Tellern und Tassen von Kandinsky, westlich orientierten Skulpturen in der Tradition des Jugendstils oder einem theatralisch propagandistischen Schachspiel von Natalja Danko und Servicen, die die sowjetische Industrialisierung unter Lenin und Stalin glorifizieren.

Gemälde, Objekte, Fotografien und Plakate aus weiteren Moskauer Museen (House of Photography, Historisches Museum und Puschkin Literatur Museum) bilden den Kontext zu dem Porzellan mit Einblicken zu Ess- und Trinkgewohnheiten der damaligen russischen Gesellschaft. Dabei beantwortet die Ausstellung "fragile" unter anderem die Fragen nach dem "Service à la russe" und warum das Wort "Bistro" aus dem Russischen stammt.

Im Rahmen der Ausstellung "fragile" wird es zahlreiche literarische, musikalische und kulinarische Veranstaltungen in Kooperation mit weiteren Institutionen geben. Das Deutsche Filmmuseum etwa veranstaltet ein Kinoprogramm zu den Themen "Der avantgardistische Film" und "Russische Literaturverfilmungen", die Genussakademie Frankfurt bietet Kochkurse zur russischen Küche an und es werden zahlreiche Lesungen und Konzerte zu Russlands Kultur stattfinden.

Parallel zur Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst findet auf Schloss Homburg eine Schau mit Porzellan des zaristischen Russland statt.


fragile
12. April bis 31. August 2008