Recherchen in Süditalien: Francesco Rosi

Als "Normanne aus Neapel" definierte sich Francesco Rosi selbst. Seine Herkunft hat sein Werk entscheidend beeinflusst, denn immer wieder setzte sich der 1922 geborene Italiener mit der Mafia, der Korruption in seiner Geburtsstadt und der Unterentwicklung Süditaliens auseinander, ehe er sich in den 80er Jahren mit "Carmen" und "Chronik eines angekündigten Todes" der Verfilmung von Oper und Literatur zuwandte. Das Stadtkino Basel widmet dem Rosi im April eine Retrospektive.

Als Francesco Rosi 1958 mit "La sfida" ("Die Herausforderung") seinen ersten Spielfilm drehte, war er schon 36 Jahre alt. Über Rundfunk und Theater war er in der Nachkriegszeit zum Film gekommen und arbeitete als Regieassistent unter anderem bei Michelangelo Antonioni und Luchino Visconti. Vor allem "La terra trema" (1948), in dem Visconti mit Laienschauspielern vom harten Leben der Fischer in einem sizilianischen Dorf erzählt, war für Rosi eine entscheidende Erfahrung.

Wie Visconti vertraute auch Rosi in seinem Debüt auf Laien und erkundet, wie die neapolitanische Camorra unter dem Druck des expandierenden organisierten Verbrechens allmählich an Macht verliert. Neorealismus verbindet sich in den frühen Filmen Rosis mit dem sozialkritischen Gestus des amerikanischen Kinos der 50er Jahre. Als Rechercheur dringt der Italiener dabei von außen in die Problemfelder ein und lässt Unsicherheiten zurück, da er nie vorgibt die vielfältigen Verflechtungen komplett durchleuchten und aufdecken zu können.

Das gilt schon für sein erstes Meisterwerk "Salvatore Giuliano" ("Wer erschoß Salvatore G.", 1962), in dem er in Rückblenden nicht nur ein Bild des bis heute unter ungeklärten Umständen ermordeten sizilianischen Banditen zeichnet, sondern auch den sozialen Kontext erkundet. Nachdem Rosi mit diesem Film den Silbernen Bär der Berlinale gewonnen hatte, holte er mit "Le mani sulla città" ("Hände über der Stadt", 1963) in Venedig den Goldenen Löwen. Mit nüchternem, fast dokumentarischem Realismus werden darin am Beispiel eines von Rod Steiger gespielten Bauunternehmers Spekulantentum, Korruption und politisches Intrigenspiel attackiert. Rosi will dabei erklärtermaßen an der fiktiven Geschichte die realen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen anprangern, die solche Missstände ermöglichen.

Bestechende Auseinandersetzungen mit der italienischen Gesellschaft boten nach dem Stierkämpferfilm "Il momento della verità" ("Augenblick der Wahrheit", 1965) und dem scharfen, im Ersten Weltkrieg spielenden Antikriegsfilm "Uomini contro" ("Bataillon der Verlorenen", 1970) dann "Il caso Mattei" ("Der Fall Mattei", 1972), "Lucky Luciano" (1973) und "Cadaveri eccellenti" ("Die Macht und ihr Preis", 1976). Wie schon in "Salvatore G." rekonstruiert Rosi in "Il caso Mattei" vom tödlichen Flugzeugabsturz des Wirtschaftsmanagers Enrico Mattei im Jahre 1962 ausgehend in Rückblenden Matteis Leben, um daran gesellschaftliche und historische Zusammenhänge herauszuarbeiten.

Das Porträt der letzten Lebensjahre des italoamerikanischen Gangsterbosses Lucky Luciano, der nach dem Zweiten Weltkrieg nach Italien abgeschoben wurde, verdichtete Rosi zu einer packenden Schilderung der internationalen Verflechtung von organisiertem Verbrechen, Wirtschaft und Politik. Im Gegensatz zu diesem rückwärtsgewandten Blick spielt "Cadaveri eccellenti" in der unmittelbaren, vom Terrorismus der Roten Brigaden bestimmten italienischen Realität der 70er Jahre. Im Stil eines Thrillers wird beklemmend von einer politischen Verschwörung erzählt, die ein römischer Polizeiinspektor (Lino Ventura) aufzudecken versucht.

Vom Politthriller wandte sich Rosi mit seinen folgenden Filmen ebenso ab wie von der quasidokumentarischen Recherche. Während er sich in "Cristo si è fermato a Eboli" ("Christus kam nur bis Eboli", 1979) nach dem Roman von Carlo Levi mit der Unterentwicklung Süditaliens zur Zeit Mussolinis auseinandersetzte, thematisierte er in "Tre fratelli" (1981) die inneritalienischen Gegensätze am Beispiel dreier Brüder.

Neue Wege schlug der italienische Meisterregisseur mit der Verfilmung von Georges Bizts Oper "Carmen" (1984) und Gabriel Garcia Marquez´ Roman "Cronaca di una morte annunziata" ("Chronik eines angekündigten Todes", 1987) ein. Weit entfernt hat sich Rosi damit von der italienischen Realität und an die Stelle der kühlen Recherche tritt Emotionalität. Dennoch sieht Rosi auch bei diesem Spätwerk in der rituellen Gewalt, die sowohl in "Carmen" als auch bei der Marquez-Adaption das zentrale Thema darstellt, das gemeinsame kulturelle Element, das den Süden, der stets Objekt seiner Filme war, verbindet.