Präzises Wolkenbild

Der gebürtige Solothurner Franz Eggenschwiler (1930–2000) hinterliess ein ausserordentlich reiches und vielgestaltiges Schaffen, in dem sich Objektkunst und Skulptur, Malerei, Zeichnung und Grafik gegenseitig ergänzen und befruchten. Als Grundlage seiner ungewöhnlichen Schaffenskraft können die Zeichnungen gelten, aus denen er als seiner wichtigsten Quelle schöpfte. Viele dieser zumeist kleinen Blätter sind beiläufig und absichtslos entstanden.

Da Eggenschwiler manche während Telefonaten zeichnete, wurden sie unter dem pauschalen Begriff "Telefonzeichnung" bekannt. Darauf wird eine "écriture automatique" sichtbar, die Gefühle und Vorstellungen ungefiltert zum Ausdruck bringt. Der Ausstellungstitel Präzises Wolkenbild stammt von einer Telefonzeichnung aus dem Jahr 1969, die zwar winzig klein ist, doch eine fast monumentale Wirkung erreicht. So "präzis" wie Eggenschwilers "Wolkenbild", so klar und sprechend sind viele seiner Blätter, die zum einen geometrische Muster und Staffelungen, zum andern figurative, landschaftliche oder erotische Vorstellungen suggerieren. In der Ausstellung wird nicht nur der reiche Solothurner Zeichnungs-Fundus gezeigt, sondern auch eine Auswahl von Skulpturen, Bildern und Grafiken, die sich direkt oder indirekt auf Eggenschwilers Telefonzeichnungen beziehen. Ausgewählte Leihgaben aus der Graphischen Sammlung des Kunsthauses Grenchen, der Franz und Rosemarie Eggenschwiler-Wiggli Stiftung, Eriswil, und aus Privatbesitz ergänzen die eigenen Bestände.

Die Schau wurde angeregt durch zwei grosse Schenkungen von 2001 und 2010: Aus Privatbesitz gelangten zwei umfangreiche Konvolute von Telefonzeichnungen in die Sammlung. Da sich das Kunstmuseum Solothurn seit Jahren für die Vermittlung der Zeichnung einsetzt, war es naheliegend, den grossen Zuwachs innerhalb einer spezifischen neuen Ausstellung zu präsentieren. Nach der grossen Retrospektive von 1987 widmet das Kunstmuseum Solothurn Franz Eggenschwiler damit die zweite Einzelausstellung und hofft, zur erneuten Beachtung dieses ganz besonderen Künstlers beizutragen, der sowohl als Professor für Grafik und Zeichnung an der Kunstakademie Düsseldorf (1981 bis 1995) wie auch als international gefeierter Bildhauer und Zeichner der siebziger und achtziger Jahre von sich reden machte.

Die Ausstellung ist nach thematischen Feldern geordnet und verdeutlicht Grundmotive. Dazu gehören u.a. die beiden grossen Themen-Komplexe "UFO" und "Frauen", denen auch frühe Grafik-Mappen gewidmet sind. Der inhaltliche Spagat zwischen "Himmel" und "Erde", zwischen Phantastischem und Irdisch-Sinnlichem ist typisch für Eggenschwiler und verleiht dem Schaffen seinen unmittelbaren Zauber, seinen Witz und Humor. Dass er dem spontanen, automatischen Ausdruck mehr Bedeutung beimisst als dem Kalkulierten und Ausgedachten, zeigt sich u.a. darin, dass er Telefonzeichnungen oder im Abfall aufgestöberte Fundstücke im Offset-Verfahren direkt für seine Grafik-Zyklen verwendet, sie gleichsam als "ready made" nutzt. Als Ergänzung kommt zuweilen allein eine spezifische Einfärbung des grafischen Blattes dazu. Und auch für die späteren Farbholzdrucke kommen Telefonzeichnungen als Umrisszeichnungen zum Einsatz; im Farbdruck werden sie quasi "ausgemalt".

Die Präsentation im Grafischen Kabinett ermöglicht gleichsam einen Einblick in Eggenschwilers Werkstatt. Das Zitieren, sprich: Neuverwerten eigener oder gefundener Arbeiten, das der Künstler seit den sechziger Jahren anwendet, mutet heute wieder sehr zeitgemäss an. Für die Ausstellung ist es gelungen, zu mancher Grafik die entsprechende Original-"Vorlage" zu finden. Spannend sind nicht nur die entsprechenden Vergleiche, sondern auch das Wechselverhältnis zwischen Zweidimensionalem und Dreidimensionalem. Während Eggenschwiler in seiner Grafik durch den Einbezug der Zeitungsfotografie oder des fotografierten Objet trouvé eine Nähe zur dreidimensionalen Wirklichkeit sucht, führt er diese mit seinen Skulpturen aus Fundstücken direkt vor Augen. Bezeichnend ist hier, wie bei seinen Telefonzeichnungen, die assoziative Verbindung verschiedenster Elemente. So gelingt es Eggenschwiler spielend, die Themenkreise "UFO" und "Frauen" inhaltlich wie formal zu vereinen. Ein "himmlisches Vergnügen" bereitet auch die Zusammenschau der Medien und Werkperioden, zeigt sie doch, mit welcher Leichtigkeit und Kreativität, aber auch mit welch notwendiger Treue Eggenschwiler immer wieder auf sich selbst, sein eigenes Schaffen, seine direkte Umgebung zurückgreift, um Neues hervorzubringen. Christoph Vögele

Franz Eggenschwiler - Präzises Wolkenbild
Von der Telefonzeichnung zur Skulptur
21. Mai bis 31. Juli 2011