Plagiatsplackerei

Nun ist wieder eine schillernde Figur, ein Blender, wie er von vielen genannt wird, ein Publikumsliebling, ein Politstar, in ein schiefes Licht geraten. Eine Kleinigkeit hat bewirkt, was in der Politik unmöglich schien: der Unbesiegbare, wie er vielen erscheint, muss zurückstecken, und wir wissen noch nicht, was folgt. Der deutsche Verteidigungsminister, KTzG, Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg, nennt sich bis zum Abschluss der Untersuchung der Plagiatsaffäre nicht mehr Dr. Seine Dissertation weist viele Zitate auf, die nicht als solche ausgewiesen wurden. Nicht nur Oppositionelle höhnen. Der Spott schlägt ihm auch aus anderen Lagern zu. Andererseits wollen an die 70% der deutschen Wähler nicht, dass er deshalb zurücktritt.

Plagiieren als Kavaliersdelikt? Eigentlich schon. Es ist vielerorts und vielermanns (und -fraus) Übung. Nicht nur in der Wissenschaft, an den Universitäten. Auch im Wirtschaftsbereich. Und in der Kultur. Vor einem Jahr machte der Hegemannfall Furore. Immer spielten die Medien, die Vermittler mit. Im Falle des literarischen Plagiats wurden sogar Theorien bemüht, weshalb das unausgewiesene copy&paste-Verfahren Kunst und genuine Leistung sei. Im Wirtschaftsbereich wird überhaupt lockerer gemessen. Im wissenschaftlichen steht zu befürchten, dass die Konzentration auf die Person überdeckt, die Institutionen nicht näher kritisch zu prüfen, die ja mitmachen, mit deren Mitwirkung solche Regelverletzungen erst möglich werden.

Uns werden ja nur prominente Einzelfälle bekannt. Meist ist das Establishment so stark, nicht den Plagiator zur Verantwortung zu ziehen, sondern jene, die sein Plagiieren aufdeckten. Das ist z. B. beim österreichischen EU-Kommissar und früheren Wissenschaftsminister Hahn der Fall, denn sein Fall ist unerledigt erledigt. Ad acta gelegt. Der Aufdecker, Stefan Weber, ist stark angeeckt. Sein Aufdecken wurde als Vernaderung denunziert und mit Neid oder Hass begründet, weil er vom Wissenschaftsministerium kein Projekt bekommen habe. Johannes Hahn, ÖVP, ist immer noch aktiv und Dr.

Guttenberg wird auch ohne Dr. seinen Weg gehen; er ist ja noch Freiherr. Da hat es der nicht adelige Hahn besser erwischt. Keine Diskussion mehr, alles vergessen und vorbei. Ähnlich wie bei Hegemann.

Einige meinen, man solle alle Dissertationen prominenter Politiker prüfen. Sie wollen eine Art Vorausmisstrauen. Das finde ich fatal. Es reichte, wenn man die Universitäten strenger auf die Erfüllung dessen prüfte, was ihr Auftrag schon früher verlangt hat und immer noch verlangt. Das reichte.

Aber in einer Kultur, in der das Profitdenken (geringer Einsatz, maximaler Erfolg) die Maxime darstellt, verwundert es nicht, dass nicht nur Banker und Manager von Wissen Gebrauch machen, ohne es auszuweisen, während andere, im umgekehrten Fall, vorgeben und gerichtlich bestätigt bekommen, sie hätten zwar gewusst, dieses Wissen aber nicht benutzt, wie im Falle des OMV-Managers Ruttenstorfer, dem eine österreichische Richterin just das bestätigte und ihn damit vom Vorwurf des unlauteren Insiderhandels aufgrund von Insiderwissen freisprach.

In beiden Fällen wird Verantwortung nach spezifischen Werten bemessen. Einmal sind halt kleine Fehler oder Schlampereien "passiert", im andern genau das Gegenteil: nur die Optik schaue schief aus, nicht aber die Sache.

Bei Hegemann überschlug sich das Feuilleton zuerst mit Lobpreisungen, um dann in Teilen entrüstet zu verdammen. Gerade in der Journalistenzunft herrschen Wertmaßstäbe, die unter denen wüster Straßenprostituierten liegen; die Ehrbegriffe der Prostituierten sind konsistenter und nachvollziehbarer. Weite teile der Bewusstseinsindustrie machen weiten Teilen der Bevölkerung klar, dass es ohne langwierige Arbeit auch gehe: Helden der Nation, Starmania und andere pervertierende Geilheiten gestalten eine Unkultur im Mantel der Spaßkultur, die von allen wichtigen Stellen getragen wird.

Die Personalisierungssucht und Fokussierung auf Events tut ihr übriges, um die Ausrichtung auf den schnellen Ruhm, das schnelle Geld zu verstärken. Als Ausgleich, und das wird von den meisten nicht als Widerspruch empfunden, zementiert sich eine Expertokratie und verfestigt damit die allgemeine Verantwortungslosigkeit. Das alles hat ausgeklügeltes System.

Plagiieren heißt betrügen. Es ist den betrügerischen Machenschaften vieler Banker und Manager ähnlich. Meist weniger sozialschädlich. Aber vom Denken her gleich. The easy way. In einer verlogenen Kultur genügt es nicht, Einzelfälle anzuprangern. Es bedarf schon einer radikalen Kur, einer Generalüberholung. Außer man gehört zu den Nutznießern und Profiteuren.

1935 schrieb der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga "Im Schatten von Morgen - Eine Diagnose des kulturellen Leidens unsrer Zeit"; das Buch erlebte schon 1937 die fünfte Auflage. Im ersten Abschnitt lesen wir:

"Überall der Zweifel an der Haltbarkeit des sozialen Systems, in dem wir leben, eine unbestimmte Angst vor der nächsten Zukunft, Gefühle des Sinkens und Untergehens der Kultur." "Die Tatsachen bedrängen uns. Wir sehen vor Augen, wie fast alle Dinge, die einst fest und heilig schienen, schwankend geworden sind: Wahrheit und Menschlichkeit, Vernunft und Recht. Wir sehen Staatsformen, die nicht mehr funktionieren, Produktionssysteme, die im Sterben liegen. Wir sehen soziale Kräfte, die ihr Wirken ins Sinnlose steigern.." "Soll diese Kultur gerettet werden, soll sie nicht versinken in Jahrhunderten der Barbarei, sondern unter Erhaltung der höchsten Werte, die ihr Erbgut sind, den Übergang finden in einen neuen und festen Zustand, dann ist es wohl nötig, dass die jetzt Lebenden sich gründlich darüber Rechenschaft geben, wie weit die Zersetzung, die sie bedroht, fortgeschritten ist."

Zwei Jahre später, 1939, wurde der Zweite Weltkrieg begonnen, der schrecklicher war, als die Ahnung des sensiblen Kulturhistorikers es sich ausgemalt hatte. Nun, heute befürchten wir nicht den nächsten großen Krieg, den Dritten Weltkrieg. Aber wir haben uns an andere Kriege gewöhnt und rechnen mit ihnen. Doch wie damals gilt die Warnung auch heute: die Barbarisierung wird fortschreiten, wenn wir nicht radikal korrigieren.

Die easy goer, die Plagiatoren, die Macher, Banker und Manager, die bornierten Technokraten, die Kriegsgewinnler in Wirtschaft und Politik, arbeiten fest am Zerstörungswerk, das ihnen ihre Profite garantiert. Und die Mehrheiten machen mit, wie damals. Denn sie wissen, was sie tun.