Picasso. Druckgrafik als Experiment

Pablo Picasso (1881–1973) gilt als Inbegriff des modernen Künstlergenies. Mit unermüdlicher Kreativität und Schaffenskraft bediente er sich scheinbar mühelos aller Gattungen, Techniken und Materialien. Vom 3. April bis 30. Juni widmet sich die Graphische Sammlung des Städel Museums mit der Ausstellung „Picasso. Druckgrafik als Experiment“ speziell dem druckgrafischen Œuvre des Künstlers. Präsentiert werden mehr als 60 Werke Picassos aus dem Bestand der Graphischen Sammlung, ergänzt durch einzelne Leihgaben aus dem Museum Ludwig, Köln, und aus Privatbesitz. Die Auswahl lässt Picassos gesamte druckgrafische Entwicklung von den frühen Pariser Jahren bis in sein Spätwerk anschaulich werden.

Ob Radierung, Kaltnadel, Lithografie oder Linolschnitt, mit nie schwindender Neugier und Virtuosität eignete sich Picasso unterschiedlichste druckgrafische Verfahren an und befragte auf immer neue, experimentelle Weise das einmal Gefundene. Die Ausstellung ist nach den verschiedenen Drucktechniken gegliedert, die immer auch eng mit der Biografie des Künstlers verknüpft sind. Die grafische Folge Suite Vollard, die Picasso zwischen 1930 und 1937 schuf und mit der er die Vielfalt der Tiefdruck-Verfahren in Gänze künstlerisch ausschöpfte, erhält einen eigenen Abschnitt in der Ausstellung.

Die Ausstellung beginnt mit einem Hauptwerk aus dem druckgrafischen Œuvre Picassos, dem großformatigen und bildmäßig ausgearbeiteten Blatt Le Repas frugal (Das karge Mahl) aus dem Jahr 1904. Der Künstler – eben in Paris niedergelassen – widmete sich der Druckgrafik erstmals ausgiebig in der Technik der Radierung und schuf auf Anhieb ein Meisterwerk. Le Repas frugal entstand am Wendepunkt von Picassos Blauer zur Rosa Periode, in der er sich motivisch zunehmend dem Universum des Zirkus zuwandte. Die dargestellten Akrobaten und Harlekine dienten ihm dabei als Sinnbild für die prekäre, gewissermaßen „heimatlose“ Stellung des Künstlers in seiner Zeit. Wie Le Repas frugal ist die ein Jahr später entstandene Radierung Salomé, 1905, nicht in eine für die Radiertechnik klassische Kupfer-, sondern in eine Zinkplatte geritzt, die zudem Kratzer und Spuren früherer Benutzung zeigt. Die Tatsache, dass Picasso dieselbe Platte mehrmals verwendete, wurde einerseits häufig als Indiz für seine angespannte finanzielle Lage zu jener Zeit gedeutet. Andererseits demonstrierte er seine bereits im Alter von 24 Jahren ausgeprägte Könnerschaft, indem er die vorhandenen Schraffen und Verfärbungen virtuos in die neue Komposition integrierte.

Der zentrale Mittelraum der Ausstellungshalle zeigt eine exemplarische Auswahl von 23 Blättern aus der Suite Vollard, darunter die meisterhafte Mezzotinto-Arbeit Minotaure aveugle guidé par une Fillette dans la Nuit (Der blinde Minotaurus von einem Mädchen durch die Nacht geführt) aus dem Jahr 1934. Die insgesamt 100 Radierplatten der zwischen 1930 und 1937 geschaffenen Serie entstanden in einer turbulenten Zeit im Leben des damals 50-jährigen Künstlers, der sich von seiner Ehefrau Olga Kokhlova trennte und eine Beziehung zur jungen Marie-Thérèse Walter führte. Diese Erfahrungen verarbeitete Picasso in der druckgrafischen Serie. Sie umfasst zentrale und wiederkehrende Sujets in Picassos Œuvre: das Verhältnis von Künstler, Modell und Kunstwerk, Szenen aus dem Atelier des Bildhauers, der Geschlechterkampf zwischen Mann und Frau sowie der Mythos vom Minotaurus. Die Bedeutung der Suite besteht jedoch nicht nur in ihrem thematischen, sondern auch in ihrem technischen Spektrum. Erstmals schöpfte Picasso hier die ganze Bandbreite des Tiefdrucks aus. Durch die Begegnung mit dem Pariser Drucker Roger Lacourière Ende 1934 hatte er neue Techniken wie die Aquatinta, das Mezzotinto oder das Zuckeraussprengverfahren kennengelernt, deren malerisch-flächige Effekte dem grafischen, klaren Lineament der Radierungen kontrastreich gegenüberstehen. Die Suite Vollard belegt damit Picassos außergewöhnliches handwerkliches Geschick und seine große Experimentierfreude.

Als Picasso im Jahr 1937 die Suite Vollard abschloss, hatte er bereits mit der Arbeit an einer anderen Radierfolge unter dem Titel Sueño y mentira de Franco (Traum und Lüge Francos) begonnen. Nachdem im Sommer 1936 der Spanische Bürgerkrieg ausgebrochen war, bat Anfang des Jahres 1937 eine Gruppe spanischer Delegierter den berühmten Künstler um einen Beitrag für den spanischen Pavillon auf der im Sommer stattfindenden Pariser Weltausstellung. Unverzüglich begann Picasso mit der Arbeit an dem Radierzyklus Traum und Lüge Francos, lehnte den Auftrag für ein großformatiges Gemälde jedoch ab. Als am 26. April 1937 die baskische Kleinstadt Guernika durch einen Luftangriff der nationalsozialistischen Legion Condor und des italienischen Corpo Truppe Volontarie zerstört wurde, änderte der spanische Künstler seine Meinung und schuf unter dem Eindruck des Schreckens innerhalb kürzester Zeit das Monumentalwerk Guernica (1937, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid). Nach Vollendung des Gemäldes setzte Picasso seine Arbeit an den beiden Radierplatten von Traum und Lüge Francos fort. Anders als ursprünglich vorgesehen, wurden deren Einzelbilder schließlich nicht für separate Postkartenmotive auseinandergeschnitten, sondern zusammen mit einem selbstverfassten Gedicht des Künstlers in einer von ihm gestalteten Umschlagmappe zugunsten der republikanischen Regierung Spaniens auf der Weltausstellung verkauft. Anlässlich der aktuellen Schau hat die Graphische Sammlung ein seltenes Exemplar des vollständigen Mappenwerks als großzügige Schenkung erhalten und kann dieses zusammen mit den beiden aus dem Kölner Museum Ludwig geliehenen Druckplatten in der Ausstellung präsentieren.

Im linken Seitenflügel der Ausstellungshalle wird Picassos lithografisches Werk vorgestellt. Nachdem die verschiedenen Techniken des Tiefdrucks sein druckgrafisches Schaffen für fast 50 Jahre beherrscht hatten, widmete sich der Künstler nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erstmals ernsthaft einem anderen Verfahren, der Lithografie. Der Künstler eignete sich die Möglichkeiten des Flachdrucks sehr schnell an und schöpfte dessen Variantenreichtum in einer Vielzahl von Arbeiten aus. Für über ein Jahrzehnt dominierte die Lithografie daraufhin seine Druckgrafik. Die Motive dieser Zeit sind fröhlich und zeigen Darstellungen seiner Lebensgefährtinnen, des Stierkampfs sowie antikisierender Bacchanten, Faune und Satyrn. Dabei experimentierte Picasso mit unüblichen Werkzeugen wie Schabern und Kratzeisen und dem Gebrauch unkonventioneller Lösungsmittel zur Vorbereitung des Druckprozesses. Der Künstler versuchte sich zudem in unterschiedlichen Verfahren des Umdrucks und verwendete insbesondere nach seinem Umzug an die Côte d’Azur Ende der 1940er-Jahre neben dem herkömmlichen Lithostein auch leichter transportierbare Zinkplatten als Druckstöcke.

Im gegenüberliegenden Seitenflügel der Ausstellungshalle schließen die farbintensiven Linolschnitte aus Picassos Spätwerk die Ausstellung ab. Von 1954 an widmete er sich dieser Hochdrucktechnik, die bis dahin kein Renommee als künstlerisches Medium besessen hatte. Der inzwischen über 70-jährige Künstler verhalf dem Linolschnitt zu einer ungeahnten Blüte – in nur zehn Jahren entstanden aus seiner Hand mehr als 200 Werke. Der Linolschnitt erlaubte es Picasso, Bildmotive aus großen, strahlenden Farbflächen zu gestalten, wobei er eigene, innovative Vorgehensweisen entwickelte. Für das jüngste Blatt der Ausstellung, L’Étreinte II (Die Umarmung), 1963, entwickelte Picasso ein vollkommen neuartiges Linolschnitt-Verfahren, bei dem es ihm gelang, die technischen Eigenheiten von Hoch-, Tief- und Flachdruck eindrucksvoll zusammenzuführen. Somit resümiert L’Étreinte II anschaulich die Experimentierfreude des Künstlers im Umgang mit den druckgrafischen Verfahren.

Picasso. Druckgrafik als Experiment
3. April bis 30. Juni 2019