Philippinische Realitäten: Die Filme von Brillante Mendoza

Nachdem in den 1970er Jahren das philippinische Kino durch die Filme von Lino Brocka erstmals international wahrgenommen wurde, waren es in den letzten Jahren Regisseure wie Lav Diaz und Brillante Mendoza, die immer wieder auf Festivals auf große Beachtung stießen. Das Zürcher Kino Xenix widmet dem 1960 geborenen Brillante Mendoza ab 16. Mai eine Filmreihe.

Auf den Philippinen gibt es seit den 1930er Jahren eine rege Filmproduktion. In den 1950er Jahren wurden 350 Filme, in den 1980ern immer noch 200 pro Jahr gedreht. Doch in den 2000er Jahren ging die Produktion stark zurück. Während es sich beim Großteil dieser Filme um für den Inlandsmarkt bestimmte kommerzielle Produktionen handelt, stießen die Filme von Lino Brocka in den 1970er Jahren auch auf internationale Beachtung. Mehrfach wurde Brocka, der 1991 bei einem Autounfall ums Leben kam, in den Wettbewerb des Filmfestivals von Cannes eingeladen, doch schon in den 1980er Jahren wurde es wieder ruhig um das philippinische Kino.

Das änderte sich etwa ab 2000 mit dem Auftreten von Lav Diaz, der sich in seinen Filmen mit der jüngeren Geschichte der Philippinen beschäftigt und auf internationalen Festivals vielfach ausgezeichnet wurde. Mit den billigeren Produktionskosten durch das Drehen mit Digitalkameras traten in den letzten Jahren aber auch zahlreiche andere Regisseure auf, die realistisch die Probleme der Unterschicht schildern. Ihr wichtigster Vertreter ist zweifellos der 1960 geborene Brillante Mendoza, der zunächst als Production-Designer von Mainstreamfilmen Karriere machte, ehe es sich mit 45 Jahren selbst der Filmregie zuwandte.

Im schonungslosen Blick auf extremste Brutalitäten kann man in dem Mann mit dem klingenden Vornamen einen Verwandten des Südkoreaners Kim Ki-duk sehen. Während Ki-duks Filme aber immer wieder um Schuld und Sühne kreisen, geht es bei Mendoza stärker um eine vom Neorealismus beeinflusste dokumentarische Schilderung. Mit nervöser Handkamera und bewusst enervierendem Sounddesign zieht er den Zuschauer immer wieder mit suggestiver Kraft in die hoffnungslosen Welten seiner Protagonisten hinein.

Auf eine Randgruppe der philippinischen Gesellschaft blickt Mendoza, der in den letzten acht Jahren elf Spielfilme drehte, schon in seinem Debüt "Masahista" (2005). Erzählt wird darin von Jugendlichen, die in einem Massagesalon für Homosexuelle arbeiten und gegen Entgelt auch sexuelle Dienstleistungen anbieten. Ausgebeutete und Unterdrückte stehen auch in anderen Filmen Mendozas wie "Lola" (2009) oder "Thy Womb - Sinapupunan" (2012) im Mittelpunkt.

Mit hyperrealistischen Bildern, vor allem aber mit einer lauten Tonkulisse evoziert er in "Lola" die Atmosphäre im Großstadtmoloch Manila. Hautnah folgt Mendozas Kamera einer alten Frau, die nach der Ermordung ihres Enkels versucht, das Geld für die Bestattung aufzutreiben, gleichzeitig schildert er die Bemühungen der Großmutter des Täters einen Pflichtverteidiger für ihren Enkel aufzutreiben. Ganz auf Augenhöhe und auf der Seite seiner Protagonistinnen ist Mendoza bei ihrem Kampf gegen eine Bürokratie, die sich für die existenziellen Sorgen und das Schicksal des Einzelnen nicht interessiert.

Auf die Unterschicht blickt auch "Tirador" (2007), in dem Mendoza einer Gruppe von Kleinkriminellen folgt, denen angesichts der anstehenden Wahlen von der Polizei hart zugesetzt wird. In die dunkelsten Abgründe der Großstadt und des Menschen taucht er in dem in Cannes mit dem Regiepreis ausgezeichneten "Kinatay" (2009) ab, in dem er einem jungen Polizisten folgt, der sein Gehalt aufbessert, indem er zunächst für Polizisten Schutzgeld eintreibt, dann gegen Bezahlung eine Prostituierte entführt und ihrer Vergewaltigung, Folterung und bestialischen Ermordung beiwohnt. Vom Neonlicht des Rotlichtviertels führt der Film in die Dunkelheit des Stadtrandes und damit auch in die Finsternis der Menschen. Doch auch wenn Mendoza von brutaler Gewalt erzählt, bleibt sein Erzählton ruhig, fast dokumentarisch.

Quasidokumentarische Schilderung kennzeichnet auch seine bislang einzige internationale Produktion "Captive" (2012), in der er nach Tatsachen die Entführung einer Gruppe westlicher Touristen durch KämpferInnen der muslimischen Minderheit auf der Insel Mindanao nachzeichnet. Mendoza verzichtet auf alle Erklärungen und Hintergrundinformationen, beschränkt sich auf die Schilderung der über einjährigen Geiselnahme und nimmt dabei mit einem Realismus und einer Direktheit, die an Kathryn Bigelows "The Hurtlocker" erinnert, anfangs auch den Zuschauer in Geiselhaft. Doch leider verliert sich dieser Film nach frenetischem Beginn bald in unglaubwürdigen und redundanten Auseinandersetzungen zwischen den Geiselnehmern und der Armee und lässt weder tiefer ins Leben und Denken der Entführer noch in das der Entführten blicken.

Gewalt droht auch ständig in dem in einem malerischen Archipel im Süden der Philippinen an der Grenze zu Malaysia spielenden "Thy Womb - Sinapupunan" (2012). Viel Zeit lässt sich Mendoza für die Schilderung des alltäglichen Lebens eines Fischerehepaars, lässt aber durch passierende Soldaten und Rebellen auch immer wieder abrupt Gewalt einbrechen. Man lebt hier nicht nur auf schwankenden Booten und Pfahlbauten, sondern das Leben und das Glück selbst scheint immer in der Schwebe zu sein, hängt an einem seidenen Faden.

Im Zentrum steht der unerfüllte Kinderwunsch des Paares, der dazu führt, dass der Mann mit Zustimmung der Frau eine Zweitfrau sucht. Doch auch dafür muss zunächst eine Mitgift aufgetrieben werden. Wie in "Lola" stehen auch hier die Protagonisten unter materiellem Druck, wie Mendoza dort immer wieder Geldscheine ins Bild rückte, so zeigt er auch hier beim Verkauf eines Motors insistierend, wie Geldschein um Geldschein in die Hand des Fischers gezählt wird. - Nicht nur in den Slums von Manila, sondern auch in dieser idyllischen Welt deckt Mendoza soziale Not auf und ergreift trotz oder gerade durch die nüchtern-unsentimentale Inszenierung entschieden Partei für die kleinen Leute.

Teaser zu Brillante Mendozas neuestem Film "Sapi"