Im Winter 1973/1974 war der in Brooklyn geborene Maler und Objektkünstler Paul Thek (1933-1988) zu Gast im Duisburger Lehmbruck Museum. Die vom damaligen Museumsdirektor Siegfried Salzmann (1985-1993) organisierte Ausstellung war die vierte in einer Reihe atmosphärischer, mit individualisierten religiösen Symbolen besetzter Großprojekte in Europa, die zu den bedeutendsten - und heute verlorenen - Installationen der 1970er Jahre gehören. Sie steht nun im Zentrum einer Ausstellung in Duisburg.
Theks ausgreifendes Environment "Ark, Pyramid - Christmas" ("Die Krippe") füllte einen ganzen Raum. Diese Weiterentwicklung seiner auf der documenta 5 in Kassel (1972) und am Kunstmuseum Luzern (1973) realisierten Installation bedeckte Wände und Boden. Die Weihnachtszeit bot Thek zudem Anlass, erstmals ein eigenes Theaterstück in Form eines Krippenspiels mit Duisburger Kindern aufzuführen. Auch dieses Stück, stark beeinflusst von Robert Wilsons früher Produktion "Deafman Glance" ("Blick eines Tauben"), in der Thek zwei Jahre zuvor selbst aufgetreten war, wird nun, knapp 40 Jahre später, im Zentrum der von Michael Krajewski und der Schweizer Kunsthistorikerin und Kuratorin Susanne Neubauer kuratierten Ausstellung "Paul Thek, in Process (Duisburg)" stehen. Das Ausstellungsprojekt wird in abgewandelter Form anschließend am Kunstmuseum Luzern und am Moderna Museet Stockholm zu sehen sein.
Ein Jahr vor seinem Besuch in Duisburg war Thek bereits vielen Besuchern der documenta 5 in Kassel aufgefallen, wo er die Installation "Ark, Pyramid" realisiert hatte. Daher soll im documenta-Jahr 2012 auch an diese ungewöhnliche Präsentation, die als eine zentrale Installation von Harald Szeemanns selbst kuratierter Abteilung der "Individuellen Mythologien" gilt, erinnert werden. "Paul Thek, in Process (Duisburg)" folgt annähernd seiner damaligen "Tournee" und erinnert an Theks außergewöhnliche künstlerische Praxis, die bis heute ihren Nachhall in der Kunst findet.
Die erste Station dieser Ausstellungsreihe ist dabei nicht zufällig gewählt, war das LehmbruckMuseum doch nicht nur Ort von Theks Installation und Schauspiel, es war auch das erste Museum in Deutschland, das Arbeiten des damals 40-jährigen Künstlers angekauft hat. Wurden Paul Theks bedeutungsgeladene Installationen, Objekte und Aufführungen zu Lebzeiten in ihrer Komplexität nicht gleich verstanden, gilt er heute als einer der eigenständigsten Künstler der unruhigen 1970er Jahre.
Kern des musealen Teils der Ausstellung sind Werke Paul Theks, die durch seine Arbeit in Duisburg in die hiesige Sammlung gelangten. Dazu gehören so prominente Arbeiten wie Theks "Gartenzwergvogel" (1971), sein Selbstporträt von 1966/67 aus der Serie der "Technologischen Reliquiare" oder der "Chair" von 1968. Leihgaben wie ein Selbstporträt aus dem University of Virginia Art Museum in Charlottesville (USA) erweitern diese Werke. Zwei bislang unpublizierte Skizzenhefte zeigen darüber hinaus, wie Thek dachte und arbeitete — im Ergebnis scheinbar improvisiert, im Inhalt bedeutungsgeladen und formal präzise gesetzt.
Die Gegenüberstellung von Kunstwerken, Archivalien, Dokumenten, Video- und Fernsehausschnitten sowie Fotos unternimmt weniger den Versuch einer Rekonstruktion, sondern ist eine aktuelle Bestandsaufnahme dieser anhaltenden Beschäftigung mit dem Künstler (deswegen: "In Process"). "Paul Thek, In Process (Duisburg)" ist aus dem Wunsch heraus entstanden, an diesen Künstler, an sein in Duisburg realisiertes Werk zu erinnern und dieses vor allem in einem größeren historischen Kontext erfahren zu können. Letzteres ist dank der historischen Distanz heute möglich. Die Ausstellung geht dazu neue kuratorische Wege und integriert Ideen einer transparenten, offen legenden Kunstvermittlung.
Wir fragen uns mit dem Mittel der Ausstellung, wie dieses Werk zu umfassen ist, wer dieser Künstler war und wie er seine Environments konzipierte, noch bevor sie mit Hilfe vieler Mitarbeiter realisiert wurden. Aus welchem kulturellen Milieu stammte dieser Amerikaner und wer hat ihn beeinflusst? Können wir heute seiner individuellen Mythologie trotz der Tatsache, dass das damalige Environment nur noch in Fotos und Berichten existiert, noch nahekommen? Als Ausstellung, Dokumentation und Inszenierung zugleich zeichnet das Projekt eine archäologische Forschung nach, die durch Kommentare sichtbar gemacht wird und als nicht abgeschlossen zu erfahren ist.
Sie ist folglich auch Ausweis einer andauernden Feldforschung, in der über Fragen nach dem Objekt, der Bedeutung der Künstlerbiografie und des -porträts sowie der Rezeption dieses Werks nachgedacht und in der ein besonderes Augenmerk auf die gegenseitige Abstimmung von Werkkommentaren und atmosphärischen Momenten gelegt wurde. Neben den Arbeiten Paul Theks werden auch Filme, Fotografien und weitere Werke etwa von Peter Hujar, Edwin Klein, Cindy Lubar Bishop, Gregory Markopoulos, Linda Rosenkrantz, Susan Sontag, Reinhard Voigt und Robert Wilson zu sehen sein.
Paul Thek, In Process (Duisburg)
27. April bis 29. Juli 2012