Parcours der Helden

Die russische Stella Art Foundation setzt ihre Zusammenarbeit mit dem Kunsthistorischen Museum fort. 2008 zeigte die Foundation im KHM die Schau "That Obscure Object of Art", mit Werken aus eigenen Sammlungsbeständen. 2009 wurden mit der Ausstellung "In Situ" Arbeiten der Künstler Igor Makarevich und Elena Elagina als Interventionen in den Räumen der Gemäldegalerie präsentiert. Mit der Ausstellung "Parcours der Helden" ist nun in der Antikensammlung eine Ausstellung von Boris Orlow zu sehen, einem der "Gründungsväter" der Soz-Art-Bewegung.

Boris Orlow (geb. 1941 bei Moskau) gilt als Soz-Art-Klassiker. Unter Soz-Art versteht man eine Kunstrichtung, die in der Sowjetunion zu Anfang der 1970er Jahre entstand. Im Unterschied zur amerikanischen Pop-Art wurden jedoch nicht die Klischees des Alltags und Konsums aufgegriffen, sondern die politischen Symbole als Teile des täglichen Lebens innerhalb des sozialistischen Systems der Stalin- und Breschnew-Ära. Doch das Werk von Boris Orlow ist auch in einem weiteren Kontext zu sehen, da seine Arbeit einen Kontrapunkt zur Soz-Art markiert, indem er die Repräsentationstechniken von Propaganda und Kunst einander nicht annähert.

Stella Kesaeva, die Präsidentin der Stella Art Foundation, ist überzeugt, mit dem russischen Künstler Boris Orlow eine ideale Wahl für die Schau in der Antikensammlung getroffen zu haben: "Es ist ihm gelungen, mit feinem Takt und Flexibilität zeitgenössische Kunst in die Antikensammlung eines der bedeutendsten Museen der Welt zu integrieren. Ich bin mir sicher, dass sich die Besucherinnen und Besucher auch nach Ende dieses Projektes gut an Orlows Skulpturen erinnern werden. Die Ausstellung "Parcours der Helden" ist ein weiterer wichtiger Meilenstein in der Karriere dieses interessanten zeitgenössischen Künstlers.“

Die Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums gehört weltweit zu den wertvollsten und bedeutendsten ihrer Art. Die ständige Sammlung umfasst 2.500 Objekte, darunter eine Sammlung griechischer Vasen und römischer Porträts, eine Vielzahl antiker Kameen, etwa die berühmte Gemma Augustea, den Goldschatz von Nagyszentmiklós, einzigartige Bronzeskulpturen wie den Jüngling vom Magdalensberg oder die Inschrift Senatsbeschluss über die Bacchanalien (Senatus Consultum de Bacchanalibus).

Boris Orlows Arbeiten ergänzen diese Aufstellung auf ganz selbstverständliche Weise und mit beeindruckendem dramatischen Effekt. Eines der Hauptinteressen des Künstlers gilt dem Heldenmythos: "Was mich anzieht, sind die folkloristischen Archetypen, die Heroen im Bewusstsein der Massen wie etwa die Matrosen, die heute an Stelle der Kosaken die Ideale von Freiheit und Draufgängertum verkörpern." Das Konzept des Helden, also einer Person mit besonders herausragenden Fähigkeiten oder Eigenschaften, die dadurch zu ungewöhnlichen und hervorragenden Leistungen getrieben wird, stammt vom antiken Heros. In der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums wird eine spannungsvolle Gegenüberstellung von antiken Heldendarstellungen und der zeitgenössischen russischen Interpretation desselben Themas möglich.

Ein zentraler Aspekt in Boris Orlows Kunst sind Attribute des imperialen Stils. Die Antike erlebte mit dem Römischen Reich das ultimative Kaiserreich der westlichen Welt, welches zum Vorbild für nachfolgende Reiche wurde – vom Heilige Römischen Reich über die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie bis hin zur UdSSR und den USA. "Die Ausstellung demonstriert die Universalität des Modells, wobei die UdSSR als Beispiel dient", so Orlow. "Ziel des Projektes ist es nicht, ein Reich zu loben; ich verstehe mich vielmehr als sein leidenschaftsloser und ironischer Beobachter, der versucht, zu den ursprünglichen Schichten des Unterbewusstseins der heroischen Motivation vorzudringen."

Man kann Orlows Werk in Formeln des großen imperialen Stils zusammenfassen. Der Künstler identifiziert und verbildlicht Archetypen und Archemodelle des imperialen Verständnisses. Er betont besonders alles Heroische und Triumphale als das fundamentale Element der externen Bildwelt jedes Imperiums. Orlow betont, dass es seine Absicht war, "ein Reich als die absolute Verkörperung des alles umfassenden Willens darzustellen, der Aufgeblasenheit, des verführerischen Grandeur, des hypertrophierten höfischen Prunkes, Triumphalismus und Vortäuschung globaler Ausdehnung". Man sollte beachten, dass die Ironie des Künstlers diesen Bildern und Symbolen den Ernst raubt, der sonst offizielle Kunst charakterisiert.

Boris Orlows architektonisch präzise, bunt emaillierte Holz- und Bronzeskulpturen erzeugen das synthetische Abbild eines für alle Zeiten und Reiche gültigen idealen Helden und berufen sich auf historische Figuren der klassischen Antike. So steht beispielsweise seine Imperiale Büste - eine Skulptur, die einen antiken Cäsarkopf mit dem Torso eines revolutionären Matrosen der legendären Aurora verbindet und mit einer Matrosenmütze bekrönt - direkt neben einer Büste Cäsars, der in den letzen Jahren seines Lebens gezeigt ist. Porträts zweier militärischer Befehlshaber, Shukow und Belisarius, die erst als große Anführer gefeiert und dann von ihren jeweiligen "Cäsaren" kaltgestellt wurden, werden in einer einzigen, geteilten und "rekonstruierten" Heldenbüste vereint, die in dem Raum, in dem auch die Porträts römischer Kaiser und Patrizier ausgestellt sind, gezeigt wird.

Bunte emaillierte Parsunas, aus riesigen militärischen Ordensbändern zusammengesetzte Konstruktionen, die an religiös verehrte Totems erinnern, werden mehrere Fensterrahmen besetzen. Ein Flugzeug, das sowjetische und deutsche Nationalsymbole vereint, hängt über dem römischen Theseusmosaik. Kleine elegante Stalinbüsten aus Porzellan, bei denen die typischen klassischen Architekturelemente der pompösen Bauten der Stalinzeit den Kopf des Diktators - dem Turban eines orientalischen Tyrannen gleich - umkränzen, werden in einer Vitrine neben antiken Vasen und Statuetten aufgestellt.

Zu Orlows liebsten Prinzipien gehört der Polystylismus, der ihm erlaubt, Zeichen verschiedener Epochen in voll integrierten Kunstwerken zu vereinen. Der Künstler behandelt das unabänderlich zyklische Muster des Auftretens von "heroischen" und "imperialen" Perioden in der Geschichte: "Es ist ein heroischer Kreis: Geburt, Triumph, Untergang und die Rückkehr zu Primärmaterie, worauf ein neuer Kreislauf folgt, und so geht es weiter, Kreislauf folgt Kreislauf". Im Kunsthistorischen Museum in Wien konstruiert Orlow ein ideales Modell dieser Transformationen.

Boris Orlow - Parcours der Helden
Eine Ausstellung der Stella Art Foundation, Moskau
in der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums
23. November 2010 bis 20. März 2011