Das Leopold Museum zeigt zum ersten Mal eine repräsentative Auswahl an Werken des umstrittenen österreichischen Künstlers Otto Muehl (*1925). Der Schwerpunkt liegt auf dessen Arbeiten aus den 1980er und 1990er Jahren. Muehl ist vor allem als Aktionskünstler bekannt. Neben Günther Brus (* 1938), Hermann Nitsch (* 1938) und Rudolf Schwarzkogler (1940-1969) zählt Otto Muehl zu den Hauptvertretern des Wiener Aktionismus. Sein Oeuvre ist mit den Geschehnissen in den von ihm in den 70er Jahren gegründeten Kommunen eng verbunden. Die teils illegalen Methoden innerhalb der experimentellen Lebensgemeinschaft mündeten Anfang der 90er Jahre in einen mehrjährigen Gefängnisaufenthalt des Künstlers.
Der beinahe 85jährige Otto Muehl polarisiert noch heute. Experten schätzen weltweit seine Arbeiten, fordern die Trennung von menschlichen Schattenseiten und Werk Muehls. Andere verurteilen sein Wirken, werfen ihm totalitäre Methoden vor, halten eine Trennung von Kunst und persönlichem Handeln für unmöglich. Immer wieder waren Künstler Gegenstand von Strafverfolgung. Das Barockgenie Caravaggio stand unter dem Verdacht des Totschlags, sass wegen der Beteiligung an verschiedenen Raufhändeln im Gefängnis. Der Expressionist Egon Schiele verbrachte ebenfalls einige Tage hinter Gittern, ihm wurde – völlig unbegründet – der Missbrauch Minderjähriger und die Verbreitung unsittlicher Zeichnungen vorgeworfen.
Das bildnerische Schaffen von Otto Muehl reicht von konzeptuell strukturierten Materialbildern über extrem gestische Ausdruckskunst bis zu flächiger Grafikgestaltung, in welcher die Farbe das beherrschende Gestaltungsmittel ist. Häufig zitiert Muehl das Pathos der frühen Expressionisten und beruft sich mit Absicht auf Heroen wie Vincent van Gogh. Zugleich lässt er in seine Arbeiten Elemente der zeitgenössischen Subkultur einfließen, die mit den Parametern der ironischen Verfremdung, der Persiflage und des grotesken Comic arbeitet. In geradezu obsessiver Weise thematisiert Muehl in seinen Bildern sexuelle Motive und Tabubrüche.
Otto Muehl wurde am 16. Juni 1925 im burgenländischen Grodnau geboren. 1943 als 18jähriger von der nationalsozialistischen deutschen Wehrmacht eingezogen, wurde er 1944 an die Front geschickt. 1946 maturierte Muehl in Wiener Neustadt, studierte dann an der Universität Wien Deutsch und Geschichte, legte 1952 die Lehramtsprüfung ab. 1953 begann Muehl mit dem Studium der Kunstpädagogik bei Gerda Matejka-Felden an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Während des Studiums arbeitete er als Zeichentherapeut, ab 1958 war er in einem Heim für entwicklungsgeschädigte Kinder beschäftigt. 1960 veranstaltete Muehl seine erste Einzelausstellung in der Galerie "Junge Generation" in Wien.
Anfang der 60er Jahre entstanden erste Materialbilder und Gerümpelskulpturen. Gemeinsam mit Hermann Nitsch und Adolf Frohner (1934-2007) erarbeitete Muehl 1962 das Manifest "Die Blutorgel". Im Zuge dieser Aktion ließen sich die Künstler in einem Kelleratelier für drei Tage einmauern. Die Ausmauerung erfolgte unter Anwesenheit des Publikums. 1963 fand Muehls erste Materialaktion "Versumpfen eines weiblichen Körpers" statt. Von 1964 bis 1966 inszenierte Muehl häufig weitere "Materialaktionen", psychodramatische Selbstperformances und politisch aufgeladene Gruppenaktionen, die stets auch eine starke sexuelle Dynamik aufwiesen. Die Aktionen, die in Filmen und Fotoserien u.a. von Kurt Kren und Ludwig Hoffenreich festgehalten wurden, stossen heute auf weltweites Interesse.
Muehls Aktionen waren stets stark politisiert, aus ihnen ging Muehls "aktionspolitisches" Programm "Zock" hervor. Gemeinsam mit Günther Brus gründete Muehl 1966 das "Institut für direkte Kunst". In London beteiligte sich der Künstler am "Destruction in Art - Symposium". Im Juni 1968 fand in der Wiener Universität die berühmt-berüchtigte Aktion "Kunst und Revolution" statt, bei der neben Muehl unter anderen auch Peter Weibel (*1944), Günther Brus und Oswald Wiener (*1935) beteiligt waren. Die Aktion wurde durch Polizeigewalt aufgelöst, über Muehl eine zweimonatige Untersuchungshaft verhängt.
1970 gründete Otto Muehl die "Kommune Praterstraße" in Wien, eine weitere folgte 1972 mit dem Ausbau des sozialsexuellen, utopischen Projekts "Kommune Friedrichshof" im Burgenland. Grundstrukturen dieser Kommune waren freie Sexualität und kollektives Eigentum, das gemeinsame Aufziehen der Kinder, Förderung gestalterischer Kreativität und die Weiterentwicklung der Aktionsanalyse zur analytischen Selbstdarstellung.
Ehemalige Kommunenmitglieder und andere Kritiker verurteilen das autoritäre System Muehls, das Demütigungen und Missbrauch ermöglichte. Das Leopold Museum distanziert sich klar und unmissverständlich vom sexuellen Missbrauch an Minderjährigen, in den das Gruppenexperiment auf dem Friedrichshof stellenweise gemündet ist. Dennoch ist es wichtig die Arbeiten Muehls zu zeigen, die Diskussion zu ermöglichen. Jedoch werden in der Präsentation im Leopold Museum alle jene Werke Otto Muehls, die eindeutig jugendliche Missbrauchsopfer porträtieren, weder in der Ausstellung zu sehen sein noch im Katalog abgebildet werden.
1973 führte Muehl seine letzte öffentliche Aktion durch, bevor er sich ab 1974 wieder der Malerei zuwandte. 1990 wurde die "Kommune Friedrichshof" aufgelöst. 1991 kam es am Landesgericht Eisenstadt zu Muehls Verurteilung zu einer unbedingten Haftstrafe von sieben Jahren wegen strafbarer Handlungen gegen die Sittlichkeit und Verletzung des Suchtgiftgesetzes. Durch eine allgemeine Amnestie aus Anlass des Jubiläums "50 Jahre Zweite Republik" wurde Muehl nach sechseinhalb Jahren Gefängnisstrafe entlassen. Seit 1998 lebt und arbeitet Otto Muehl in Faro in Portugal.
Otto Muehl in der Sammlung Leopold
11. Juni bis 24. Januar 2010