Ort der Selbstfindung: Die Wüste im Film

Unter den extremen geographisch-klimatischen Regionen der Erde fungierte die Wüste im Kino bislang wohl am häufigsten als Schauplatz. Nicht nur als lebensfeindlicher Ort, der dem Menschen das Äußerste abverlangt, erscheint sie dabei, sondern mehr noch als Spiegelbild der Seele und Ort der Selbstfindung. - Das St. Galler Kinok zeigt als Open-Air in der Lokremise eine Auswahl von 15 Wüstenfilmen.

Kein echter Wüstenfilm, aber einer mit einer legendären rund 30 minütigen Schlusssequenz im glühend heißen Death Valley ist Erich von Stroheims "Greed" (1923). Aufgrund seiner physischen Präsenz unvergesslich ist dieses Finale, bei dem sich die beiden Protagonisten im Kampf um 3000 Dollar in die lebensfeindliche Region verfolgen und sich dort ein tödliches Duell liefern. Fast fünfzig Jahre später kehrte der Italiener Michelangelo Antonioni in diese Gegend zurück, um dort den letzten Abschnitt von "Zabriskie Point" (1970) zu drehen. Bei Antonioni spiegelt sich in der Wüste die Entfremdung und Kommunikationslosigkeit des Menschen der modernen Industriegesellschaft. Kein Wunder also, dass er mehrfach Filme teilweise in der Wüste spielen ließ und in "Il deserto rosso" (1964) die norditalienische Industrielandschaft mit einer Wüste gleichsetzte.

In "Professione: Reporter" (1973) löst ein Aufenthalt in der Sahara bei dem von Jack Nicholson gespielten Reporter dagegen ein Überdenken seines Lebens aus, das in die Übernahme einer fremden Identität mündet. Ein existentieller Ort, in dem der Mensch aufgrund des Fehlens aller Kulturgüter und Verlockungen der Konsumgesellschaft auf seine nackte Existenz zurückgeworfen wird, ist die Wüste auch in "Gerry" (2002), in dem Gus van Sant zwei junge Männer 90 Minuten durch die Wüste irren lässt. Gesprochen wird kaum ein Wort und weitere Personen treten nur kurz am Anfang auf. Aber gerade in dieser Reduktion von Handlung und Dialog wirft diese amerikanische Variation von "Warten auf Godot" ständig Sinnfragen auf. In Wim Wenders´ "Paris, Texas" (1984) ist die Wüste wiederum ein Fluchtpunkt, ein Ort, in dem sich der von Harry Dean Stanton gespielte Travis der Welt entzieht, gleichzeitig ist die vegetationslose Einöde auch Spiegelbild seiner zerrütteten und förmlich ausgetrockneten Seele.

Im amerikanischen Kino fungiert die Wüste aber meist "nur" als ein Ort der Bewährung. Vor allem im Western, auf dem Treck in den "Gelobten Westen" gilt es diese lebensfeindliche Region zu überwinden wie in William A. Wellman´s "Westward the Women" (1951) oder in John Fords "The Three Godfathers" (1948). Im Abenteuerfilm dagegen wie in Robert Aldrichs "The Flight of the Phoenix" (1965) spielt die Wüste die Rolle eines natürlichen Gefängnisses, in dem sich Individuen zu einer Gruppe zusammenraufen müssen, um gemeinsam die Notlage zu meistern. Ein Ritt durch die Wüste – und die Zeit, die dabei vergeht, bzw. die Möglichkeit zum Nachdenken, die in der menschenleeren und öden Region geboten wird – kann aber auch ein Umdenken bei den handelnden Figuren einleiten wie in Tommy Lee Jones´ meisterhaftem "Three Burials of Melquiades Estrada" (2005), bei dem an die Stelle der Rache langsam der Gedanke der Vergebung tritt.

Auch durch die Wüste, aber gleichzeitig durch die sozialen und politischen Probleme Afrikas führt Marion Hänsels "Si le vent soulève les sables" (2006), in dem die Belgierin von der Flucht einer Familie vor der Dürre erzählt, dabei aber mehrfach in die Hände von rivalisierenden Freischärlern fällt und sukzessive dezimiert wird. So grandios, und gleichzeitig fern von jedem Kitsch die Wüstenbilder sind, so erschütternd ist die schnörkellos erzählte Geschichte.

In großen Epen wie in kleinen meditativen Filmen kann die Wüste aber auch Ort der Selbstfindung sein. David Leans Meisterwerk "Lawrence of Arabia" (1962) erzählt ebenso von dieser Suche wie Bernardo Bertoluccis "The Sheltering Sky" (1990) oder Nacer Khemirs "Bab´Aziz, Le prince, qui contemplait son âme" (2006). Wie sich in der Wüste die Bilder im Nichts verlieren, weil feste Begrenzungen fehlen, so scheinen sich auch die Figuren in diesen Filmen in der leeren Landschaft aufzulösen und in ihr zu versinken. Während freilich Lean die private Geschichte in ein großes Epos und einen historischen Kontext einbettet und Bertolucci zumindest vordergründig eine Dreiecksgeschichte erzählt, setzt Nacer Khemir ganz auf einen meditativen Erzählrhythmus und orientalische, an die "Geschichten von 1001 Nacht" erinnernde Erzählstrukturen. Die Geschichte der Reise eines blinden Derwischs und seiner etwa 10jährigen Enkelin ist für den Tunesier nur ein Vorwand für eine Reflexion über das Leben im Einklang mit der Welt, mit der Natur und mit sich selbst und schließlich vom Aufgehen in dieser Natur im Tod. Aber vor allem erzählt "Bab´Aziz" in seinen lichtdurchfluteten Bildern von der Vielfalt und der Schönheit der Wüste, vom Nuancenreichtum des Beige der Dünen, vom tageszeitlichen Wechsel der Farben und von der Verlorenheit des Individuums in dieser Weite, in der es aber gleichzeitig auch wieder geborgen ist.

Diese fremde, ebenso bedrohliche wie faszinierende Landschaft hat aber auch immer wieder Dokumentarfilmer angelockt. Nicolas Humbert und Wolfgang Penzel nützen in ihrem filmischen Gedicht "Middle of the Moment" (1995) die Beobachtung des Lebens von Nomaden zu einer Reflexion über zyklische Bewegungen, über Tag und Nacht und Werden und Vergehen. Mehr an einer ethnographischen Erkundung der Tuareg ist dagegen Ulrike Koch in ihrem "Wüstenfilm" "Ässhäk – Geschichten aus der Sahara" (2004) interessiert.

Bei Wüstenfilmen sollte man freilich nicht immer nur auf Afrika und den Südwesten Amerikas schauen, sondern auch Asien und im Speziellen die Wüste Gobi nicht außer Acht lassen. Ein veritabler Welterfolg gelang Luigi Falorni und Byambasuren Davaa mit ihrem quasidokumentarischen Märchen "Die Geschichte vom weinenden Kamel" (2003). Und auch ein Film wie "Tuyas Hochzeit" (2006) ist entscheidend von der mongolischen Steppe geprägt. Und vergessen sollte man auch nicht den australischen Outback, in den nicht nur die "Mad Max"-Trilogie (1979 - 1985), sondern auch die schrille Komödie "The Adventures of Priscilla, Queen of the Desert" (1984) oder Bill Bennetts Thriller "Kiss or Kill" (1997) entführt.