Ode an die Langsamkeit

Der 17-jährige Wiener Gustav Sztavjanik hilft dem indischen Zweiradweltreisenden F. J. Davar bei einem Patschen (Reifenschaden) in Wien, Gumpendorfer Straße. Aus dieser Zufallsbekanntschaft entsteht eine Reise in ferne Länder. Ein gefährliches Abenteuer wartet auf beide. Drei Ausrüstungsgegenstände dürfen laut Gustav nicht vergessen werden: „Gesundheit, Humor und Ausdauer.“

Für diese Reise wählte er: „Das einfachste Reisefahrzeug, welches sich Menschen mit bescheidenen Mitteln leisten können – das Fahrrad.“ Mit diesem einfachen Transportmittel, einer Ode an die Langsamkeit, fährt Gustav Sztavjanik völkerverbindend rund um die Welt.

Vom 19. November 1924 bis 11. Oktober 1931, insgesamt 7 Jahre, dauert diese Reise. Sie führt durch vier Kontinente. Die beiden Zweiradfahrer legen insgesamt 110 000 Kilometer zurück und radeln durch 47 Länder. 1931 werden Sztavjanik und Davar in Wien auf der Boschberghöhe in Favoriten von 20 000 jubelnden Menschen stürmisch begrüßt.

Im Jahr 1935 stellte Gustav Sztavjanik in der Ausstellung "Oestara" (Oesterreichische Arbeit im Ausland) im Künstlerhaus seine Reiseutensilien aus. Neben anderen Österreichern aus unterschiedlichen Fachgebieten findet er nicht nur für seine radfahrerischen Leistungen, sondern für seine völkerverbindenden Erfolge und die ihm zugeschriebene national repräsentative Rolle große Anerkennung.

Durch Zufall erhielt der Maler, Grafiker und Objektkünstler Hermann Härtel zwei Koffer voll mit Zeitungsausschnitten aus aller Welt, Bestätigungen von Konsulaten, herrlichen Lichtbildern, Pokalen u. v. a. von Edd Sztavjanik, dem Neffen von Gustav Sztavjanik, „zur Durchsicht“. Härtel setzt sich bereits seit vielen Jahrzehnten als Trittrollerfahrer, Radfahrer und als Objektbauer von Sparkrafträdern mit dem Zweirad auseinander.

Fasziniert von dieser Radreise und ermutigt durch eine Juryentscheidung beschließt Hermann Härtel, eine imaginäre Zweiradreise ins Künstlerhaus zu gestalten. Fast 100 Jahre später unternimmt er eine imaginäre Fahrt und zeigt bei dieser Reise intuitive Zeichnungen und Zweiradobjekte.

Das Fahrrad, eine Ode an die Langsamkeit, ist ein Apparat gegen die Zeit, gegen Opazität und für eine heile Umwelt. Das Weiterführen dieser Zweiradgeschichte, die dem vorgegebenen Drall analog scheint, ist ein sublimes Gleiten in die Jetztzeit, in ein weites Feld.

Alles, was Flügel hat, fliegt. Und was keine Flügel hat? Erst recht!

Ode an die Langsamkeit
Ein Projekt von Hermann Härtel
8. Juli bis 29. August 2021
Künstlerhaus, Factory