Das Museum Brandhorst zeigt in München erstmals die gesamte Bandbreite des drei Dekaden umfassenden malerischen und bildhauerischen Werks von Nicole Eisenman. Ein Werk, das auf anarchische Art stets vermag, Hommage und zugleich Kritik an seinem eigenen Sujet zu sein, und dessen Relevanz kunsthistorisch und gesellschaftlich, politisch und zutiefst menschlich ist.
Nicole Eisenman zählt seit den 1990er-Jahren zu den Protagonist:innen der Kunstszene New Yorks und gehört heute zu den einflussreichsten künstlerischen Positionen der Gegenwart. Von Beginn an zeichnet sich ihr Schaffen durch ein Nebeneinander unterschiedlicher Materialien, Formate und Techniken aus: So stehen manche Öl- und Acrylgemälde, großformatigen Wandmalereien und Arbeiten auf Papier für sich, während andere zu Installationen gruppiert werden. Charakteristisch für Eisenman ist, dass sie aus vielfältigen Quellen schöpft, darunter Werken der Renaissance, Comics der Undergroundszene oder sozialistischen Wandbildern der 1930er-Jahre. Viele der Arbeiten rufen die Erfahrungen lesbischer Communitys in New York auf. Sie sind jedoch nicht rein dokumentarisch, sondern in hohem Maße von Fantasie und Komik geprägt.
In ihren großformatigen, figurativen Malereien seit den 2000er-Jahren bezieht sich Eisenman unmittelbar auf ihr Lebensumfeld und stellt das Alltägliche auf ebenso humorvolle wie mitfühlende Weise dar. Es sind meist Gruppenbildnisse, die jedoch nicht nur von Eintracht und Verbundenheit, sondern auch von sozialer Isolation und Entfremdung innerhalb der Gesellschaft erzählen. Seit Mitte der 2010er-Jahre produziert die Künstlerin eine Reihe monumentaler Gemälde, in denen sie sich auf die angespannte politische Stimmung in den Vereinigten Staaten nach der Präsidentschaftswahl des Jahres 2016 bezieht. Einige Arbeiten kritisieren Wähler:innen, die Donald Trumps populistischen Versprechungen verfallen. Auf anderen wiederum sind politisch engagierte Communitys zu sehen, die gemeinsam einer gesellschaftlichen Kultur entgegentreten, die sich „auf einem dunklen Pfad“ („The Darkward Trail“, 2018) befindet. In den vergangenen Jahren erfahren auch skulpturale Werke einen immer größeren Stellenwert in Eisenmans Praxis. Nach ersten Arbeiten in Gips zu Beginn der 2010er-Jahre gibt es heute keinen Stoff mehr, den die Künstlerin nicht in ihren Skulpturen zu verarbeiten wüsste. Deren Materialität referenziert queere Themen, die Eisenman fortwährend beschäftigen, ebenso wie ihre unerschütterlich humanistische und universalistische Haltung.
Die Besucher:innen der Ausstellung „Nicole Eisenman. What Happened“ tauchen bei ihrem Rundgang in drei miteinander verwobene Erzählstränge ein. Der erste handelt von einer lesbischen Künstlerin mit feministischen Überzeugungen, die in der New Yorker Downtownszene der 1990er-Jahre für eine kleine alternative Community zu malen beginnt und deren Werke heute international gefeiert werden. Eine weitere Erzählung widmet sich Eisenmans Sicht auf und Kommentar zur US-amerikanischen Gesellschaft und den Rissen, die durch sie gehen: den Auswirkungen der Präsidentschaft von George W. Bush, der Wirtschaftskrise 2008 oder dem Rechtsruck der Politik nach der Wahl Donald Trumps. Ebenso verhandelt Eisenman die Omnipräsenz von Bildschirmen in unserem Alltag, imaginiert die US-Landschaft bei Eintritt der Klimakatastrophe und füllt die Gattung der Historienmalerei mit neuem Leben, indem sie jüngste Protestbewegungen wie Black Lives Matter und Defund the Police im Bild festhält. In einem dritten Erzählstrang vermittelt die Ausstellung schließlich die beeindruckenden formalästhetischen Experimente, den Ehrgeiz und den Einfallsreichtum bei der Auswahl des Materials, die das Œuvre der Künstlerin auszeichnen.
Nicole Eisenman. What Happened
24. März bis 10. September 2023