Nervenzerrendes Körperkino: Die Filme von Kathryn Bigelow

Als erste Frau gewann Kathryn Bigelow 2010 für "The Hurt Locker – Tödliches Kommando" den Oscar für die beste Regie. Mit ihren kompromisslosen Actionfilmen und Genrevariationen ist die 66-jährige Kalifornierin eine Ausnahmeerscheinung im US-Kino. Das Österreichische Filmmuseum widmet Bigelow (im Kontext mit drei US-Regisseurinnen ihrer Generation) anlässlich des Starts ihres neuen Films "Detroit" im Dezember eine Retrospektive.

Über Umwege kam die am 27. November 1951 in San Carlos, Kalifornien geborene Kathryn Bigelow zum Film. Zunächst studierte sie zwei Jahre lang am San Francisco Art Institute, bekam dann ein Stipendium des Whitney Museum of American Art, war Mitglied der Avantgarde-Künstlergruppe Art & Language und arbeitete mit Künstlern wie Richard Serra und Lawrence Weiner.

Weil sie die Malerei aber bald – wie sie 1995 in einem Interview erklärte - für isolierend und elitär hielt, "während Film zu einem sozialen Instrument werden kann, das ein Massenpublikum erreicht", wandte sie sich dem Film zu. Mit dem Kurzfilm "The Set-Up" (1978), der mit der Analyse des verführerischen Wesens der Gewalt schon ein Hauptthema ihres Schaffens ankündigte, schaffte sie die Aufnahme an der Columbia University Graduate Film School.

Gemeinsam mit Monty Montgomery drehte sie 1982 mit "The Loveless" ihren ersten Langfilm. In der Nachfolge von Laszlo Benedeks klassischem Bikerfilm "The Wild One" (1953) lässt das Regieduo in dem in den 1950er Jahren spielenden Film eine Motorradgang aufgrund einer Panne in einer Kleinstadt in Georgia Halt machen.

Eindrucksvoll evozieren Bigelow/Montgomery die Lethargie in der sommerlichen Kleinstadt und lassen mit dem von Willem Dafoe gespielten Anführer der Gang und dem reaktionären Bürgermeister gegensätzliche Charaktere aufeinandertreffen, zwischen denen jederzeit Gewalt ausbrechen kann.

Ein frischer Mix zwischen Western, Vampirfilm und Roadmovie gelang Bigelow fünf Jahre später mit "Near Dark" (1987). Im Zentrum des in Arizona spielenden Films steht ein junger Cowboy, der durch den Biss einer Vampirin gezwungen wird, sich einer Gruppe blutsaugender Desperados anzuschließen. Gekonnt reduziert Bigelow das Genre dabei auf Archetypen und spiegelt ironisch gebrochen den alten Frontier-Mythos und die Suche nach Freiheit.

Wie diese Vampire und Bigelow selbst als Actionregisseurin in Hollywood Außenseiter sind, so ist es die Polizistin Megan in "Blue Steel" (1990) in der männlich dominierten New Yorker Polizeieinheit. Souverän spielt die Kalifornierin in dem entsprechend dem Titel ganz in stahlblau getauchten extrem stilisierten Film mit Genre-Stereotypen und Täter/Opfer-Konstellationen und widmet sich nach Lederkleidung und Motorrädern in "The Loveless" mit der Faustfeuerwaffe einem weiteren männlichen Fetisch.

Zum Kassenerfolg entwickelte sich im folgenden Jahr der Actionthriller "Point Break – Gefährliche Brandung" (1991), in dem ein junger Cop Undercover in der kalifornischen Surferszene eine Gruppe von Bankräubern sucht. Männer stehen zwar im Zentrum dieses Films, doch der Held überlebt hier nur, weil eine Surferin ihn schon zu Beginn vor dem Ertrinken rettet.

An der Kinokasse scheiterte dagegen der groß angelegte Science-Fiction-Film "Strange Days" (1995), zu dem ihr damaliger Ehemann John Cameron das Drehbuch schrieb. Bigelow wirft den Zuschauer darin in ein düsteres Los Angeles am Tag vor der Jahrtausendwende und verwickelt einen Ex-Cop, der mit einer Software dealt, die Sinneswahrnehmungen aufzeichnen und wiedergeben kann, in einen Mordfall, bei dem auch die Rolle der Polizei undurchschaubar ist. – Und auch hier muss immer wieder eine Frau (Angela Bassett dem von Ralph Fiennes gespielten Protagonisten aus der Klemme helfen.

Der Flop von "Strange Days" brachte einen Bruch in Bigelows Karriere. Statt fürs Kino arbeitete sie in den nächsten Jahren fürs Fernsehen und drehte mehrere Folgen der Serie "Homicide".

Nach fünfjähriger Leinwandabsenz kehrte sie mit 2000 mit dem im 19. Jahrhundert spielenden Thriller "The Weight of Water" zwar ins Kino zurück, doch diesem Film war ebenso wie dem folgenden während des Kalten Kriegs spielenden und auf einem wahren Ereignis beruhenden U-Boot-Thriller "K 19: The Widowmaker" (2002) kein Erfolg beschieden.

Sieben Jahre später gelang ihr aber dann mit "The Hurt Locker - Tödliches Kommando" (2009) ein glanzvolles Comeback. Mitten hinein in den Alltag eines Bombenentschärfungskommando im Irak versetzt sie hier den Zuschauer, konzentriert sich ganz auf diese nervenzerfetzende Arbeit, spart alle Hintergründe aus und lässt so den Zuschauer die nahezu unerträgliche Spannung geradezu physisch erfahren, zeigt in einer kurzen, jedoch unvergesslichen Szene aber auch, dass nach so einem Kommando eine Rückkehr in den amerikanischen Alltag nahezu unmöglich ist.

Auf dieses mit sechs Oscars ausgezeichnete Meisterwerk des modernen Genrekinos ließ sie mit "Zero Dark Thirty" (2013) einen weiteren Film folgen, der sich mit der Jagd auf Osama bin Laden mit dem Engagement der USA im Mittleren Osten beschäftigt. Politische Analyse interessiert Bigelow freilich auch hier so wenig wie Kritik oder Legitimierung von Geheimdienstpraktiken. Sie stellt vielmehr eine Ermittlerin (Jessica Chastein) in den Mittelpunkt, die an der verbissenen zehnjährigen Suche nach dem Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001 fast zerbricht.

Mit "Blue Steel", "Point Break", "Strange Days" und "The Hurt Locker" verbindet damit dieser Film, dass eine Einzelkämpferin im Zentrum stehen, die ganz auf sich gestellt sind. Und wieder gelingt es dieser Meisterin des physischen Kinos dabei mit ihrer nüchtern-dokumentarischen Inszenierung und der Reduktion auf das Wesentliche eine Spannung zu erzeugen, die kaum auszuhalten ist.

Kurzporträt von Kathryn Bigelow (englisch)