Für ein Handwerk braucht es Hände, Material, Wissen und Werkzeug. Was soll daran mythisch sein? Mythisch sind die Gefühle und Werte, die man mit dem Handwerk verbindet – Ehrlichkeit, Beständigkeit, Regionalität, Qualität. Zwischen diesen idealhaften Vorstellungen und der Lebenswirklichkeit von Handwerker:innen liegen oft Welten. Die Sonderausstellung im Vorarlberg Museum konzipiert einen entdeckungsreichen Rundgang durch aktuelle Fragestellungen zum Handwerk und entlarvt so manche Romantisierungen.
In dieser Ausstellung kann man sich ganz der Schönheit handwerklicher Dinge hingeben und ausgezeichnetes Kunsthandwerk entdecken. Oder hinter die Kulisse blicken und auf zeitkritische Positionen treffen: Die Künstlerin und Ärztin Dominique Kähler reagiert mit gestrickten Wurstwaren auf Fragen zu Natur- und Artenschutz, die Schuhmachermeisterin Gabriele Gmeiner erzählt in einem Video, weshalb von Gefängnisinsassen hergestellte Kinderstiefel keinen Absatz finden. Handwerk ist also nicht gleich Handwerk.
Es gibt handwerkliche Erzeugnisse, die aufgrund ihres Preises als luxuriös angesehen werden. Die Lebensdauer eines Produkts wird in dieser Rechnung nicht berücksichtigt, ebenso wenig die Folgen industrieller Alternativen: billig produziert, rasch weggeworfen – ein luxuriöser Umgang mit Ressourcen, der nicht ohne Auswirkungen für die Umwelt bleibt. Und ist ein von Hand hergestellter, orthopädischer Schuh Luxus für jemanden, der ihn dringend braucht?
Dem globalen Austausch von handwerklichen Traditionen und Wissen widmet sich ein weiteres Ausstellungskapitel mit einem Glanzstück als Schlüsselobjekt – ein "afrikanisches Dirndl" des Münchner Modelabels Noh Nee. Dahinter steht eine Vision der in Kamerun geborenen Designerin Rahmée Wetterich. "Der kreative, spannende Austausch der Weltkulturen wird in Zukunft eine große Rolle spielen", sagt sie, "die Menschen werden sich kennenlernen, Neues kreieren und ihre Traditionen in einem anderen Licht sehen." Dieser Ansatz ist übrigens nicht neu. Er lässt sich an einigen historischen Ausstellungsobjekten nachvollziehen: an Möbeln und Trachten mit ihren gestickten Verzierungen, an kunstvoll dekorierter Keramik, deren Muster sich an asiatischen Vorbildern orientieren.
Wie facettenreich das Thema Handwerk ist, erschließt sich aus den Gesprächen, die mit Handerwerker:innen aus Österreich und Deutschland zu den verschiedenen Themenbereichen der Ausstellung geführt wurden. Es geht um das Zusammenspiel von Kopf und Hand bei der Arbeit oder um die mangelnde gesellschaftliche Anerkennung. "Ich bin oft gefragt worden, weshalb ich eine Lehre und kein Studium gemacht habe", heißt es an einer Stelle. Unter mangelnder Anerkennung scheinen auch Schweizer Handchirurgen zu leiden, deren Verband eine Plakat-Kampagne zur Stärkung ihrer öffentlichen Wertschätzung durchgeführt hat.
Aufschlussreich sind die Episoden über das Erlernen eines Handwerks, die Rolle des Meisters, der Meisterin dabei und die Notwendigkeit für junge Menschen, auf Wanderschaft zu gehen. Solche Überlegungen haben übrigens schon die Bregenzerwälder Barockbaumeister angestellt, die um 1720 mit den Auer Lehrgängen ein zweibändiges Werk zur Aus- und Weiterbildung der Bauhandwerker vorgelegt haben. Die Lehrmittelcontainer "Lädolar" der Werkraumschule des Werkraum Bregenzerwald setzten, wie in der Ausstellung zu sehen ist, diese Tradition in besonderer Weise fort.
Dass das Handwerk viel Potential hat, gerade beim verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen, davon sind die befragten Handwerker:innen überzeugt. Nicht für jede Problemstellung gibt es industrielle Lösungen, was übrigens in der Schau eine von Besucher:innen steuerbare Roboterhand verdeutlicht. Und das Bedürfnis nach individuell gestalteten Produkten wird es immer geben. Innovationen sind auch im Handwerk ein Türöffner in die Zukunft, oder um es mit den Worten einer Meisterin zu sagen: "Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit."
Mythos Handwerk. Zwischen Ideal und Alltag
Bis 6. Jänner 2025