Manchmal taugt Trivialkultur zur Politisierung im positiven Sinn, wenn auch unfreiwillig. Der Streit um die Verfilmung des "Unternehmen Walküre", dem Attentatsversuch einiger Offiziere um Claus Schenk von Stauffenberg und anderen vom 20. Juli 1944, bringt ein heikles und verlogenes Thema wieder in die Schlagzeilen und kurz ins Blickfeld der sensationslüsternen Bevölkerung. Der Wirbel geht aber nicht primär um historische Faktenlage, direkte authentische Deutung, sondern um andere Befindlichkeiten, die allerdings damit das fragil überdeckte Mythologisierte, wie es in West und Ost konstruiert worden war, einmal mehr anzeigen.
Obwohl entrüstet moralinsauer das Persönliche vorgeschoben wird, z.B. dass Tom Cruise den Stauffenberg mimen soll, und dass das ein Affront sei, weil er ein Sektenmitglied ist und damit das heilige Erbe eines aufrechten Widerstandskämpfers beschmutze, geht es doch um Anderes. Es geht um die Reinhaltung einer Chimäre, eines Mythos. Die in den Fünfzigerjahren erfolgte Heroisierung und Überhöhung des Widerstandes, gerade weil er so uneinheitlich und gering war in Deutschland, darf nicht angekratzt werden.
Der Kalte Krieg ist zwar vorüber, aber das Erbe aus dieser Zeit, als Ost wie West ihre eigenen Geschichtsdeutungen opportun mythologisierend, tabuisierend oder, wo genehm gezielt ausbreitend, vertiefend, pflegten, drückt irgendwie nach und rülpst auf.
Im Zuge eines Stärkung nicht nur der konservativen, sondern vor allem der extrem rechten Lager, der chauvinistischen aller Arten, ist die unkritische, mythologisierte Geschichtssicht wieder erstarkt. In Polen und Tschechien, Deutschland, England oder Frankreich, in den baltischen Staaten ebenso wie in Albanien und der Türkei.
Plötzlich wird ein Hollywoodgeschäft zum Politikum, weil Bilder und Symbole gewissen Leuten nicht passen. Eine neue negative Empfindlichkeit regiert, nicht nur bei Kopftuchträgerinnen. Die Lodenmantler, Rosenkranz- und muslimische Gebetsschnur Fingernden sind heutzutage schneller tiefer beleidigt und angegriffen. Dem antworten sie mit unduldsamen Vorwürfen.
Dort wird ein Profet verletzt, obwohl er nicht verletzt werden kann, weil er schon sehr sehr lange tot ist, und nur einige Anhänger sich verletzt fühlen, wenn sein Bild in einer für sie unannehmbaren Weise gezeichnet wird. Aber deren Gefühlslage wird als Massstab genommen. Mit der falschen, verlogenen Toleranz für Religionsgefühle wird einer Intoleranz und nicht nur dummen, sondern auch gefährlichen Praxis der Deutungshoheit und einem daraus folgenden Sanktionsrecht das Wort und die Tat geredet.
Jetzt, wo gewisse Vertreter in Deutschland ihr Bild von Widerstandskämpfern besudelt oder sonst als falsch interpretiert sehen, protestieren sie, ähnlich wie die moslemischen Fundamentalisten. Dankenswerterweise haben sie noch nicht automatisch Recht.
Der Vorfall zeigt ein komplexes Problem an: Die feige Wischi-Waschi-Haltung gegenüber "Anderen" führt weder zu Integration, noch besserem Verstehen, sondern zur Segregation und Abschottung einerseits, bzw. zur Stärkung chauvinistischer Ansprüche und Forderungen andererseits. In diesem hostilen Klima geht es dann nur noch darum, wer wie stark sich durchzusetzen vermag und wer im Kampf der politischen Symbolik nicht nur symbolisch gewinnt.
Das Dritte Reich bleibt "trendig" und modisch. Es liefert immer noch Stoff. Junge und alte Autoren haben in ihm einen schier unerschöpflichen Steinbruch für ihre Brocken. Im allgemeinen befriedigt es alle Beteiligten. Nur manchmal, wenn gewisse Interpretationen oder Umstände der herrschenden Schicht widersprechen, gibt es Aufruhr und Protest.
2005 habe ich zur Erinnerung des 20. Juli in meiner politischen Kolumne "HandlsWort", die seit 2007 unter dem Titel "Polo" in der ZITIG erscheint, von der falschen Mythologie geschrieben. Der heutige Rummel um Stauffenberg und Cruise, Gedenkstätte und Scientology etc. macht ihn eigentlich nochmals lesenswert: "Die Männer des 20. Juli und der Mythos" http://www.zitig.net