Montforter Zwischentöne: J.S. Bachs h-Moll-Messe als multiples Ereignis

23. November 2021 Martina Pfeifer Steiner —
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Die Montforter Zwischentöne bieten in Feldkirch immer ein außergewöhnliches Programm, ab heuer zwar nur noch einmal im Jahr, doch umso intensiver – und diesmal unter dem Leitgedanken "Vom Beenden zum Anfangen". Zentrales Meisterwerk: die h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach. Das war in mehrfacher Hinsicht ein Ereignis: Erstens, weil die beiden Aufführungen am letzten Abdruck vor dem neuerlichen Lockdown doch stattgefunden haben und zweitens musikalisch-künstlerisch! Eine als Talkshow angekündigte Einführung im Vorfeld, mit dem Berliner Konzertdesigner Folkert Uhde – als künstlerischer Leiter zusammen mit Hans-Joachim Gögl für die dramaturgische Konzeption der neuartigen Formate verantwortlich – und dem Dirigenten Benjamin Lack vermittelte Begeisterung und Dimension dieses letzten großen Vokalwerks von Bach, die seine einzige Komposition war, der das vollständige Ordinarium des lateinischen Messetextes zugrunde liegt.

Die Entstehungsgeschichte der aus 18 Chorsätzen und 9 Arien bestehenden Missa tota gibt heute noch Rätsel auf, man nimmt auch an, dass diese zu Lebzeiten Bachs nie aufgeführt wurde. Er komponierte 1733 zunächst das Kyrie und Gloria, als Protestant hätte er für ein Credo keine Verwendung gehabt. Erst gegen Ende seines Lebens stellte er die übrigen Sätze aus Bearbeitungen früherer sowie neuer Stücke zu einer imposanten Gesamtpartitur zusammen. Da er ab Mitte der 1730er Jahre begann, auch andere zyklische Werke mit Modellcharakter zu schaffen – wie die Goldberg-Variationen, Weihnachtsoratorium, Die Kunst der Fuge – wird vermutet, die Erweiterung könne damit motiviert sein, seine bedeutenden Werke zu sichten und zu sammeln um der Nachwelt ein musikalisches Vermächtnis zu hinterlassen. "Es ist ein opus summum in allen Formen, die Bach beherrscht und was kompositorisch in dieser Zeit möglich war", bemerkt Benjamin Lack und auch, dass die Messe für die SängerInnen durchaus eine dem Leistungssport ähnliche "physische Challenge" ist.

Hört man sich die zweistündige Doppel-CD daheim an, möchte man fast Bachs Zeitgenossen Johann Mattheson zustimmen, dass die h-Moll „bizarre, unlustig und melancholisch“ ist. Im Konzertsaal – Montforthaus – tauchen die ZuhörerInnen jedoch in völlige meditative Konzentration, eingebunden in einem „Dom aus Klängen“, wie Andreas Heller, Professor an der Katholisch Theologischen Fakultät der Universität Graz, die erste der drei Predigten über die Endlichkeit und damit verbundenen Sorgen und Ängsten beginnt. Solch eingeschobene Reflexionen zur Intensivierung des Musikerlebnisses sind mittlerweile zum Spezifikum der Zwischentöne (wörtlich genommen) geworden. Aber auch die besondere Licht-Dramaturgie bringt eine weitere visuelle Dimension in den Spannungsbogen.

Die Geste der Unterwerfung im Kyrie, irdisch, mühsam, bleibt düster und dunkel. Auf eigentümliche Weise verschmelzen im ersten Teil fugatische mit Ritornell-Elementen – der Feldkircher Kammerchor voller Konzentration und Innigkeit. Mit dem „Christe eleison“ wird es hell, ein Lichtblick. Bach vertonte dieses als opernhaftes Duett zweier Soprane in freundlichem D-Dur. Damit haben Miriam Feuersinger und Marian Dijkhuizen, Alt, ihren ersten wohlklingenden Auftritt. (Und das wird übrigens bei dieser Inszenierung wörtlich genommen, die Solisten steigen für jeden Einsatz auf die Bühne empor.) Das zweite Kyrie ist eine strenge vierstimmige Chorfuge, präzise und unprätentiös von den ChorsängerInnen dargebracht. Mit Körpereinsatz und großer Geste spannt der musikalische Leiter Benjamin Lack den großen Bogen, man spürt förmlich wie viel es ihm bedeutet, dieses Werk aufführen zu können. Mit dem Ensemble „Concerto Stella Matutina“ verfügt Vorarlberg freilich über ein Barockorchester von internationalem Format.

Dem Gloria liegen textlich der Lobgesang der Engel von Bethlehem und das altkirchliche Laudamus zugrunde. Im Eröffnungschor erklingen zum ersten Mal Trompeten und Pauken, die im strahlenden D-Dur auf die Majestät des himmlischen Königs weisen, unterstrichen durch den schnellen Dreiertakt, die gebrochenen Dur-Dreiklänge und Oktavsprünge im Bass. Der Raum wird heller. Alle Vokalsolisten werden mit Arien bedacht. Im „Quoniam tu solus sanctus“ glänzt der deutsche Bass-Bariton Christian Immler, begleitet von seltsamer Hornstimme. Eigenartig, dass dieses Instrument nur an dieser kurzen Passage seinen Einsatz hat.

Während die meisten Chöre fünfstimmig angelegt sind, hebt sich das sechsstimmige Sanctus mit der Erweiterung auf drei Oboen ab. Der Chor teilt sich entsprechend der Doppelchörigkeit und lässt Raum für die Verkündigung der frohen Botschaft – Benedictus – durch den Tenor. Georg Poplutz, ist einer der vielgefragten Tenöre in der Barockmusik, Licht und Formation der MusikerInnen verstärken diese Stelle eindrücklich. Im Agnus Dei wird es wieder andächtig dunkler, die wundervoll lyrische Alt-Arie erklingt. Sanft wird das „Dona nobis“ eingeleitet, das sich bedächtig in ein strahlendes „pacem“ steigert, auch räumlich in maximaler Helle und Vertikalität.

Montforter Zwischentöne „Vom Beenden zum Anfangen“ vom 4.11. bis 1.12.2021. Die Vorstellung am 20.11.21 fand noch statt, die weiteren mussten abgesagt werden.