Monteverdi an der Wiener Staatsoper: Die Heimkehr von Ulisse

6. April 2023 Martina Pfeifer Steiner —
Bildteil

Claudio Monteverdis "Il ritorno d'Ulisse in patria" vollendet die Trilogie der vollständig überlieferten Opernwerke des Komponisten aus der Renaissance an der Wiener Staatsoper, musikalisch zusammengehalten vom Concentus Musicus Wien unter dem Dirigenten Pablo Heras-Casado, für die Inszenierung zeichnen sich diesmal Jossi Wieler und Sergio Morabito aus. Um es vorwegzunehmen: eine hochkarätig und tiefgründig zelebrierte Aufführung mit atemberaubenden Hauptpartien von Ulisse Georg Nigl und Kate Lindsey als Penelope.

Von wegen vollständige Überlieferung: Die einzige erhaltene Partiturabschrift wurde 1878 in der Österreichischen Nationalbibliothek (Notensammlung von Kaiser Leopold I.) als anonyme Handschrift unbekannter Provenienz entdeckt und dann erst als die 1640 uraufgeführte Oper Ulisse identifiziert. Die damals übliche Notation war auf jeweils zwei Zeilen reduziert, wie setzt man das eigentlich in Orchesterinstrumentation um? "Es gibt Gemälde aus der Zeit, die verraten, welche Art von Ensemble und Instrumenten Monteverdi zur Verfügung hatte. Und wir haben Aufzeichnungen über die Rechnungen, die Instrumentalisten in San Marco stellten, aber auch aus den ersten öffentlichen Theatern, die Hinweise auf die Orchesterbesetzungen liefern", erläutert der Dirigent im ergiebigen Programmbuch (eine unbedingte Kaufempfehlung!).

Mit dem Concentus Musicus Wien wirkt ein Originalklang-Gastorchester mit, das unter seinem Gründer Nicolaus Harnoncourt Entscheidendes zur Rückeroberung von Monteverdis Opernschaffen ins Kernrepertoire der Opernhäuser geleistet hat. Für Harnoncourt war klar: "Monteverdis Anliegen ist die optimale Wirkung des Wortes, die Musik darf niemals davon ablenken, niemals Selbstzweck sein, sie muss, deutend und mitreißend, die Wortbedeutung untermalen und verstärken, sodass der Zuhörer gleichsam über zwei Antennen erreicht wird. Natürlich kann es in diesen Opern keine Arien geben, überhaupt keine abgeschlossenen Musikstücke, da sie ja den Hauptzweck – die optimale Wirkung der Dichtung – nur stören würden." Und der Librettist Giacomo Badoaro bleibt erkennbar nah an Homers großem Mythos der Weltliteratur.

Schon im Prolog werden in den Allegorie-Konstellationen Menschen wie Götter in Frage gestellt: Die Liebe, der Zufall, die Zeit – "wenn ich auch hinke / habe ich doch Flügel" – bedrängen die Menschliche Zerbrechlichkeit. Abgründig und erschütternd analysiert Penelope ihre Situation: "Einer unglücklichen Königin / niemals endende schmerzliche Qualen". Kate Lindsey gestaltet die tragisch ausgebreiteten dunklen "Recitar cantando"-Parts großartig. "Der Erwartete trifft nicht ein / und zugleich fliehen die Jahre."

Die Handlung des Stücks richtet den Lichtkegel ausschließlich auf die Rückkehr Ulisses – nach zehn Jahren Krieg sowie zehn Jahren Irrfahrt – und die Wiederbegegnung mit seiner noch immer wartenden Ehefrau Penelope. "Natürlich behält man bei der Arbeit die Homer'sche Erzählung im Hinterkopf, aber entscheidend ist, dass diese in der Oper nicht einfach nacherzählt, sondern auf ihre Widersprüche und ihr Schmerzpotential hin abgeklopft wird [...] wir müssen die ständigen Risse und Brüche in der vermeintlichen Kontinuität dieses Geschehens registrieren", sagen die beiden Regisseure Wieler und Morabito im Interview. "Seine Irrfahrt, aber auch sein Nichterkennen der Heimat am Beginn der Oper ist in einem existentiellen Sinn zu verstehen. Physisch mag Ulisse in Ithaka gelandet sein, aber sein Selbst ist ihm fremd und unbegreiflich geworden."

Georg Nigl zeichnet den heimkehrenden Ulisse grandios. Dieser Mensch hat sich nicht nur altersmäßig verändert, seine Taten, die Traumatisierungen und das den ungerechten Göttern Ausgeliefertsein haben tiefe Spuren hinterlassen. Mit Minervas Hilfe werden die Nebenbuhler blutig exekutiert, Penelope weigert sich noch, ihren Mann wiederzuerkennen, doch sobald auch Neptun nicht mehr auf Rache sinnt, gelingt die herzzerreißende, musikalisch meisterhaft ausformulierte Annäherung der Eheleute.

Zum Schluss noch ein Blick auf das Bühnenbild. Anna Viebrock löst die Herausforderungen mit Gleichzeitigkeit der Handlung an grundverschiedenen Orten wie Meeresstrand, Waldlichtung, königlicher Palast mit einer komplexen, stark fragmentierten Installation an einer Drehbühne, im Zentrum der sakral anmutende Webstuhl Penelopes. An den Details muss man nicht hängen bleiben – wie einige unverständige Kritiker-Kollegen mit der oberflächlichen Abqualifizierung als Hinterhoflager oder Rumpelkammer – denn in der unübersichtlichen Vielfalt des Labyrinths setzt eine hohe Abstraktion ein, die das Ringen um Selbstfindung, Identität und Anerkennen erst entfalten lässt.

Das Publikum wusste jedenfalls, dass es ein Schlüsselwerk aus den Anfängen der Oper in einer hochkarätigen, tiefgreifenden Aufführung erleben durfte. Nicht endenwollender Applaus.

IL RITORNO D’ULISSE IN PATRIA
Dramma in musica in einem Prolog und drei Akten
Musik: Claudio Monteverdi Text: Giacomo Badoaro
nach den Gesängen XIII–XXIV aus der Odyssee (um 700 v. Chr.) von Homer

Musikalische Leitung: Pablo Heras-Casado
Inszenierung: Jossi Wieler und Sergio Morabito
Bühne und Kostüme: Anna Viebrock
Licht: Reinhard Traub
Video: Tobias Dusche

Ulisse: Georg Nigl
Penelope: Kate Lindsey
Telemaco: Josh Lovell
Minerva: Isabel Signoret
Eurimaco / Anfinomo: Hiroshi Amako
Nettuno / Antinoo / Il Tempo: Andrea Mastroni
Eumete: Robert Bartneck
Iro / L'umana fragilità 2: Jörg Schneider
Ericlea / L'umana fragilità 1: Helene Schneiderman
Melanto / L'umana fragilità 3: Daria Sushkova
Pisandro / L'umana fragilità 4: Katleho Mokhoabane
Juno: Anna Bondarenko
Jupiter: Daniel Jenz
Die Liebe: Alma Neuhaus
Der Zufall: Miriam Kutrowatz

Chorakademie der Wiener Staatsoper
Concentus Musicus Wien