Markenzeichen

Die eigene Briefmarke kreieren und ganz legal versenden? Das Internet macht möglich, was Künstler bereits vor 25 Jahren entworfen haben. Schon seit den Sechzigerjahren wurde die Briefmarke als Kontext für künstlerische Interventionen genutzt. Manche Marken waren von offiziellen Postmarken kaum zu unterscheiden. Neben Briefmarken von Ländern mit Fantasienamen wie Kanadada, Netland, Doo Da, oder Zeropost und Fluxpost, irritierten einige Briefmarken mit normalen Landesbezeichnungen, aber unüblichen, oft provokanten und tabubrecherischen Inhalten.

Dass eine persönliche Botschaft auch in einem persönlich gestalteten Umschlag ankommen sollte, ist eine leicht nachvollziehbare Idee, welcher die Schweizerische Post heutzutage mit Webstamps entgegenkommt. Durch dieses Angebot können Internet-Nutzer eigene Bilder als Briefmarken editieren lassen und auf Etiketten oder direkt auf Briefumschläge ausdrucken. Die Bilder sind dann mit dem gewählten Wert und allen formalen Zeichen einer Briefmarke ausgestattet. Ein ähnliches Konzept hatte H.R. Fricker 1986 gefordert und vorweggenommen mit seinem Vorschlag, einen Alphabet-Markenbogen mit 30 Einzelbuchstaben herauszugeben und dem Absender so eine persönliche Aussage auf Brief, Karte usw. zu ermöglichen. Im vordigitalen Zeitalter hielt die PTT diese Idee nicht für umsetzbar, wie ein ausführlicher Brief an Fricker belegt.

Mail-Art trug bereits verschiedene Züge des Internets, als es dieses noch nicht gab. Sie funktioniert über ein internationales Netzwerk von Künstlern, die auf dem Postweg in Kontakt stehen, und deren Werk darin besteht, dieses Netz aufzubauen, zu erweitern und mit Ideen zu nähren. Die Teilnehmenden haben als Konzept-Künstler den Fokus nicht auf fassbaren Kunstobjekten, sondern auf der Idee, auf einem Gedanken und dessen Kommunikation. Sie gestalten ihre Briefe collagenartig mit eigenen Briefmarken und Stempeln, wobei sie Sprache spielerisch und reduziert einsetzen. So wird klar gemacht, dass unter den Networkern eigene Regeln gelten – auch wenn sie für ihre Sendungen die offiziellen Postdienste benützen.

H.R. Fricker ist ein aktiver und einflussreicher Teilnehmer am weltweiten, sozialen Mail-Art-Network der 1980er und -90er Jahre. Per Briefpost vernetzten sich damals zehntausende Mail-Artists. Der Zweck des Mail-Art-Networking waren offene, partnerschaftliche Kontakte von Person zu Person, ausserhalb des Kunstbetriebes. Politische und gesellschaftskritische Themen prägten den Austausch, ebenso die Reflexion über die eigene Position gegenüber dem offiziellen Kunstbetrieb.

Kunst findet statt. Mit dem explizit unkommerziellen Charakter ihres Wirkens entziehen sich Mail-Künstler zu einem grossen Teil dem Kunstmarkt. Ihre Kunst findet statt. Sie hat keinen Ort, kann also auch nicht ausgestellt werden – so die konsequente Überlegung, welche allerdings kollidiert mit dem Wunsch aller Künstler, wahrgenommen zu werden, und auch mit dem Interesse, das diese Kunstform geweckt hat.

Fricker sucht immer wieder die Erweiterung aus etablierten Systemen, versucht die Formen zu überwinden, die er auch selber mitentwickelt hat. Der Austausch mit Künstlern aus der ganzen Welt bekam eine andere Dimension, wenn sich die Beteiligten direkt trafen, ohne den gewohnten Postweg zu benützen. Selber hatte Fricker bereits unzählige Briefe verschickt, als er 1985 seine Kollegen aufforderte, einander zu besuchen. Er beschrieb diesen Wechsel so: "After Dadaism Fluxism Mailism comes Tourism".

Die Pflege einer Kommunikationskultur nahm in manchen Ländern eine politische Bedeutung an: beispielsweise als Mittel des Widerstands in den Diktaturen Lateinamerikas und Osteuropas. Da diese Kunstform ohne die üblichen Verteiler wie Galerien, Kunsthändler oder Museen auskommt, ist sie in ihrer Ausbreitung nur schwer zu kontrollieren.

Fricker wagt im Museumbickel eine Gegenüberstellung seiner Mail-Art-Markenbogen mit offiziellen Markenbogen des Markenstechers Karl Bickel. Ebenso sind nach Networker-Art gestaltete Briefumschläge neben solchen zu sehen, die mit den Marken Bickels frankiert oder dekoriert wurden.
Guido Baumgartner / Judith Annaheim

Markenzeichen
15. August bis 19. September 2010