The Man You Love to Hate

In den 1920er Jahren schuf Erich von Stroheim die aggressivsten und schonungslosesten Gesellschaftsdramen der Filmgeschichte. – Die Filmindustrie, die den gebürtigen Wiener finanzierte, ließ sich das nicht lange bieten, verstümmelte zunächst seine Filme und gab ihm dann keine Aufträge mehr. – Das Filmarchiv Austria zeigt eine umfangreiche Retrospektive.

Als Sohn eines jüdischen Hutmachers am 22.9. 1885 in Wien geboren, kam Erich (von) Stroheim vermutlich 1909 in die USA. Dort gab er sich als Abkömmling einer preußischen Adelsfamilie aus, behauptete ein Offizierspatent der k.u.k. Kavallerie zu besitzen und erweichte nach diversen Gelegenheitsjobs mit seiner Hartnäckigkeit David Wark Griffith ihn als Darsteller einzusetzen. Mit schlaksigem Gang und Monokel prägte er während des Ersten Weltkriegs das Stereotyp des »bösen Deutschen« und die Werbung erfand den Slogan »The Man You Love To Hate«.

1919 durfte Stroheim erstmals selbst Regie führen. »Blind Husbands«, der sich mit »The Devil´s Passkey« (1920) und »Foolish Wives« (1922) zu einem ersten Zyklus zusammenfassen lässt, beinhaltet schon alle zentralen Themen seines Werks: Im Mittelpunkt stehen von ihren amerikanischen Männern, die nur ans Geschäft denken, vernachlässigte Frauen. Erst durch das Werben eines europäischen Don Juan werden diese bedauernswerten »Good American Girls« zu Frauen.

Während diese ersten Filme in Europa – in den Alpen, in Paris und in Monte Carlo – spielen, zeichnete Stroheim in »Greed« (1924), der als sein Hauptwerk gilt, nach Frank Norris´ Roman »McTeague« mit schonungslosem Naturalismus ein Bild der amerikanischen Unterschicht. Nicht im Studio, sondern auf den Straßen von San Francisco und die Schlusssequenz im Death Valley wurde diese Tragödie um sexuelles Verlangen, Ehebruch, Eifersucht und unstillbare Gier gedreht.

An Budgetvorgaben hielt sich dabei Stroheim nie, überzog mit seinem Streben nach äußerster Detailtreue hemmungslos die Finanzen und in seinem Bemühen ein breites Gesellschaftspanorama mit zahlreichen Nebenfiguren zu entwerfen den zeitlichen Rahmen traditioneller Spielfilme. Stroheims fünfeinhalbstündige, auf zwei Teile angelegte Version von »Greed« wurde ihm entrissen und von den MGM-Cuttern auf 150 Minuten zusammen geschnitten.

Dieses Schicksal widerfuhr auch dem so genannten »Wiener Zyklus«, der aus »Merry-Go-Round« (1923), »The Merry Widow« (1925), »The Wedding March« (1928), »The Honeymoon« (1929) und »Queen Kelly« (1928) besteht. Amerikanischer Puritanismus und Geschäftsdenken sind hier keine Themen mehr, im Mittelpunkt steht die Degradierung des Eros in der aristokratischen Gesellschaft des Vorkriegs-Europa. In allen diesen Filmen scheitert die Liebe zwischen einem Mädchen aus »niederem Stand« und einem adeligen Lebemann an den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zwängen.

Nicht Montage bestimmt Stroheims Filme, sondern wie die Filme Chaplins die Inszenierung vor der Kamera, psychologisch ausgefeilte Charakterzeichnung, Kulissen und Kostüme. Ihre Dichte und Kraft entwickeln diese Tragödien durch die Genauigkeit der Beobachtung und die Fülle der Figuren und Details. Berüchtigt war der Exzentriker für sein Streben nach Naturalismus und bei »Foolish Wives« – einem Stummfilm - soll er darauf bestanden haben, dass die elektrische Klingelanlage des Palasts auch funktioniert.

An die Regeln des Studiosystems wollte und konnte sich dieser Monomane des Kinos nicht anpassen und bezahlte diese Unnachgiebigkeit mit vorzeitiger »Pensionierung«. »Queen Kelly« wurde ihm aus den Händen gerissen, als er erst ein Drittel gedreht hatte, und »Walking Down Broadway« (1933), Stroheims erster und einziger Stummfilm, wurde sofort ins Archiv verbannt.

In 13 Jahren und mit 10 Filmen hatte sich Stroheim mit allen großen Hollywood-Studios überworfen und galt als »persona non grata«. Mehrere Projekte verfolgte er in den nächsten Jahren, doch arbeiten konnte er nur noch als Schauspieler. Denkwürdig sind vor allem seine Darstellungen in Jean Renoirs »La grande illusion« (1937) und in Billy Wilders »Sunset Boolevard« (1950). In letzterem wird auf Stroheims eigenes Schicksal angespielt: Er spielt in diesem Melodram, das mit Hollywood abrechnet, einen einst gefeierten Stummfilmregisseur, der nun als Butler eines fast vergessenen, von Gloria Swanson, der Hauptdarstellerin in »Queen Kelly«, gespielten Stummfilm-Diva arbeitet.

Erich von Stroheim
17.5. bis 30.6. 2007