Laure, Sweetness und Jan

Zwischen 10 und 20 Jahren alt sind die Protagonisten von Céline Sciammas "Tomboy", Victoria Mahoneys "Yelling to the Sky" und Dirk Lütters "Die Ausbildung". Ganz unterschiedlich sind aber ihre Probleme und unterschiedlich gelungen sind auch die drei Filme, die bei der 61. Berlinale in drei verschiedenen Sektionen laufen.

Die Programmschiene "Panorama" wurde mit Céline Sciammas "Tomboy" eröffnet. Sehr feinfühlig erzählt die Französin von der 10-jährigen Laure, die mit ihrer Familie in eine neue Gegend zieht. Es ist Sommer, Ferienzeit, in der noch nicht durch den bürokratischen Apparat der Schule die Identität der jungenhaften Laure festgeschrieben ist. Als sie bei ihren Streifzügen durch die Gegend die gleichaltrige Lisa kennenlernt und sich als Mikael vorstellt, wird sie folglich problemlos als Junge akzeptiert und in Lisas Freundeskreis von Jungs aufgenommen. Immer mehr steigert sich Laure in diese Jungenrolle hinein, spielt Fußball, tollt mit den anderen herum, doch irgendwann muss das Geheimnis ihrer richtigen Identität auffliegen.

Geschickt lässt Sciamma den Zuschauer am Beginn im Ungewissen über Laures Geschlecht und schlidert, getragen von einem großartigen jugendlichen Schauspielerensemble, mit viel Gefühl und ganz auf der Höhe der jugendlichen Protagonistin das Oszillieren zwischen Junge und Mädchen, die Übernahme jungenhafter Posen, vermittelt dabei aber auch eindringlich die Zerrissenheit und die Probleme, die aus dem Gefühl in einem falschen Körper zu leben entstehen. Weil Laure mit niemandem über ihre Gefühle reden kann, wird ihre Situation zunehmend prekärer. Als ihre Freundin sie zuhause besucht, kann sie zwar ihre kleine Schwester noch dafür gewinnen mitzuspielen, doch einmal müssen die Eltern dahinter kommen. Mit diesen Entdeckungen verliert der trotz des ernsten Themas wunderbar leichte Film zwar an Überzeugungskraft, da die Rolle der kleinen Schwester viel zu altklug und gerissen angelegt ist, und nicht einsichtig ist, wieso die Mutter absolut kein Einfühlungsvermögen in das Sehnen ihrer Tochter zeigt, dennoch lässt Sciamma insgesamt tief in jugendliche Gefühle und Probleme blicken.

Mit ganz anderen Problemen hat die 17-jährige Sweetness in Victoria Mahoneys "Yelling to the Sky" zu kämpfen, der im Wettbewerb läuft. Nach einer Kamerafahrt durch eine amerikanische Vorstadt mit heruntergekommenen Wohnsiedlungen auf der einen und sauberen Einfamilienhäusern mit gepflegtem Garten auf der anderen Seite, bricht schon die Gewalt herein, wenn Sweetness von einer Jugendgang angegriffen und ihr das Fahrrad abgenommen wird. Doch zufällig kommt ihre ältere Schwester Ola vorbei und zeigt der Gang, wer hier letztlich das Sagen hat.

Nicht besser ist die Situation freilich zu Hause, wo der Vater im Suff die Mutter verprügelt, bis diese mit Ola auszieht. Zurück bleibt Sweetness, die sich selbst zu helfen versucht, indem sie für einen älteren Kumpel Roland zu dealen beginnt, Stärke demonstriert, indem sie nun ihrerseits aggressiv wird und ihre frühere Peinigerin verprügelt.

Zupackend ist der Stil, wenn mit unruhiger Kamera und Rap-Musik immer wieder die Gewalt vermittelt wird. Eindrücklich stellt Mahoney der Aggression die Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit gegenüber, doch bleibt der Film ganz in der oberflächlichen Sozialschilderung stecken, strahlt zwar eine rohe Kraft aus, lässt aber überzeugenden Handlungsaufbau vermissen. Diese Sprunghaftigkeit der Szenenfolge und nicht nachvollziehbare Wendungen lassen das Zuschauerinteresse an "Yelling to the Sky", der nicht nur durch die Besetzung von Sweetness" schwergewichtiger Gegnerin mit Gabourey Sibide an "Precious" erinnert, trotz überzeugender Schauspieler rasch nachlassen.

Überzeugender ist hier schon Dirk Lütters Debüt "Die Ausbildung", das in der Perspektive Deutsches Kino gezeigt wird. Von Anfang an zieht Lütters den Zuschauer mit seiner hochkonzentrierten und schnörkellosen Inszenierung ins Geschehen. In langen statischen Einstellungen folgt der deutsche Regisseur dem etwa 20-jährigen Jan, der als Lehrling in einem Call-Center arbeitet. Keine Emotionen zeigt er, erfüllt brav alle Aufträge um nur ja in ein festes Dienstverhältnis übernommen zu werden. In diesem Gehorsam wird er freilich zum Handlanger des Personalchefs, dem es um Leistungssteigerung geht.

Man spürt in dem von Joseph K. Bundschuh eindringlich gespielten Jan die zunehmende Anspannung, die er in immer aggressiveren Autofahrten oder in Kaufrausch abzubauen versucht. Eindrücklich vermittel auch die sorgfältig kadrierten, aufgeräumten und in unauffällige Grautöne getauchten Einstellungen das Aufgeräumte und Angepasste. Etwas zu viel packt Lütters hinein, wenn er das Arbeitsfeld umfassender zu beleuchten versucht, den Austausch einer Angestellten durch eine billigere Arbeitskraft ebenso wie die schwierige Situation der als Betriebsrat arbeitenden Mutter von Jan anschneidet. In der Konsequenz der Inszenierung, im kühlen Blick, die mit der Kälte der Arbeitswelt korrespondiert und im Verzicht auf Musik und Dramatisierung, besticht und packt dieses von der Berliner Schule beeinflusste Debüt und lässt schon mit Spannung schon auf den nächsten Film Lütters warten.