Kosmos – Rätsel der Menschheit

Die uns umgebenden Gestirne, insbesondere Sonne und Mond, sind Taktgeber der irdischen Existenz. Sie sind für den Rhythmus der Zeit ebenso verantwortlich wie für klimatische Schwankungen und wirken so unmittelbar auf uns ein. Seit Jahrtausenden versucht die Menschheit sie in einem zusammenhängenden System zu erklären und zu deuten. Das Museum Rietberg zeigt, welche Kosmologien und Kosmogonien, welche Schöpfungsmythen, Menschen aus verschiedenen Kulturen und Zeiten entwickelt haben.

Die Ausstellung "Kosmos – Rätsel der Menschheit" zeigt mit Beispielen aus siebzehn Kulturen weltweit, wie sich die Menschen seit Urzeiten mit dem Kosmos beschäftigt haben, wie sie ihn erforscht und welche Mythen sie sich über seinen Ursprung, seine Schöpfung ausgedacht haben. Mal stehen dabei mehr die Mythen, mal die Kosmologien, die Erkundung und die Beobachtung des Weltraums im Vordergrund. Durch den Einbezug der Erkenntnisse der heutigen Astrophysik wird auch einen Bezug zum gegenwärtigen Forschungsstand geschaffen.

Faszinierend ist die wunderbare Vielfalt all dieser Mythen und Vorstellungen, und diese möchte das Museum Rietberg zeigen, ohne eine Wertung vorzunehmen. Denn gerade die auf alten wissenschaftlichen Methoden basierenden Kosmologien, bringen uns zum Staunen. Dies zeigen beispielsweise die Zeit- und Raumvorstellungen der indischen Religionen. Die frühen buddhistischen Kosmostheorien gehen von der Annahme aus, dass es eine unendliche Anzahl von Weltsystemen gibt und dass diese Weltsysteme nicht kugelförmig im Raum angeordnet sind, sondern bandförmig, also eine Art Galaxie bildend. Die Welt ist zudem kein stabiles, gleichbleibendes Gebilde, sondern einem ständigen Wandel unterworfen, genau so, wie es die heutige Kosmologie vertritt. Dabei sind die Zeiträume des Entstehens, Vergehens und Wiederentstehens gigantisch.

Auch der Hinduismus kennt ähnliche Vorstellungen von Zeit wie die Theorie der vier Weltzeitalter. Ein Zyklus des Entstehens und Vergehens dauert dort 40 Milliarden Jahre. Die 13,8 Milliarden Jahre, das Alter unseres Universums gemäss moderner Kosmologie, nehmen sich dagegen relativ bescheiden aus. Zum Staunen bringen uns auch die akkuraten Kosmosvorstellungen und die Rechenkunst der alten Griechen und wie dieses Wissen im europäischen Mittelalter weitgehend verschüttging, oder die Präzision der chinesischen Astronomen bei der Vorausberechnung kosmischer Ereignisse wie zum Beispiel dem Erscheinen von Kometen.

Noch vielfältiger als die Kosmologien sind die Schöpfungsmythen, die uns überliefert sind. Während im Christentum vor allem eine Schöpfungsbeschreibung, die biblische Genesis, Bestand hatte, gibt es zum Beispiel im Hinduismus eine Vielzahl von Mythen, die jeweils eine andere Geschichte, einen anderen Aspekt der Weltentstehung erzählen. Wie hat alles angefangen? Diese zentrale Frage der Schöpfungsmythen wird auf sehr unterschiedliche Weise beantwortet.

Einige Mythen schweigen sich diesbezüglich aus, andere nennen einen Schöpfer oder Weltbaumeister, wieder andere gehen von einer Art Perpetuum mobile aus, einem Prozess des Werdens und Vergehens, bei dem es keinen Schöpfer und Zerstörer braucht. Es existiert zwar die Vorstellung, dass die Welt aus dem Nichts entstanden ist. Meist wird jedoch die Existenz einer Schöpfergottheit vorausgesetzt, die dann aus ihrem Wesen heraus oder auch aus einer Urmaterie, aus dem Chaos, aus einer formlosen Masse, einem Urmeer, einem Ei oder zum Beispiel aus einem Ungeheuer die Welt erschafft. Angesichts der Bedeutung des Wassers für das Leben und Überleben der Menschen, Tiere und Pflanzen ist es nicht weiter erstaunlich, dass ihm in Ursprungsmythen eine wichtige Stellung zukommt.

Bei den an der Nordwestküste Amerikas siedelnden Haida bringt der schöpferisch begabte, trickreiche Rabe unter anderem den Menschen das Wasser, gemäss einem mesopotamischen Mythos gingen alle Götter aus dem Urpaar Süsswasser und Salzwasser hervor, in buddhistischen Ursprungsmythen besteht der grösste Teil der Welt aus Wasser. Um Welt zu schaffen, wird das Chaos entwirrt oder die Urmaterie in Bestandteile getrennt und aufgeteilt, wie dies die alte chinesische Vorstellung der Entstehung von Yin und Yang beschreibt. Durch das Zerstückeln oder Zerstören kann der Welt ebenfalls Leben eingehaucht werden.

Gemäss einem Schöpfungsmythos der Yoruba in Nigeria zersplittert der Gott Orisha, auf den ein Mordanschlag mit einem Felsbrocken ausgeübt wird, in unzählige Stücke. Die göttliche Essenz ist seither überall, Gott und die Welt sind untrennbar miteinander verwoben. Es ist nicht verwunderlich, dass der Schöpfungsakt immer wieder auch mit kreativen, handwerklichen Tätigkeiten des Menschen beschrieben wird: Schöpfung durch das Formen von Lehm, Schnitzen von Holz, Schmieden, Zusammenfügen. Oder Schöpfung als Akt des Zeugens und Gebärens. Wenn in der biblischen Schöpfung Gott spricht «Es werde Licht», so kann auch das gesprochene Wort die Schöpfung in Gang bringen.

Neben Beispielen aus Mesoamerika, Nordamerika, China, Indien, Afrika und Polynesien werden auch die Kosmologien und Schöpfungsgeschichten Ägyptens, Mesopotamiens und des Abendlands thematisiert, von den Germanen bis hin zur biblischen Genesis und der Forschungsgeschichte in Europa. Die 180 Exponate aus 20 Sammlungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit: sie machen jedoch Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten und Einflüsse zwischen den einzelnen kosmologischen Vorstellungen gut sichtbar und tragen der Tatsache Rechnung, dass wir bei unserer Darstellung fremder Weltentwürfe an unsere Perspektive, das heisst an unsere Sprache und unser Denken gebunden sind.


Kosmos – Rätsel der Menschheit
12. Dezember 2014 bis 31. Mai 2015