Kompromissloser Western der Coen-Brüder zur Eröffnung

Nicht viel schief gehen konnte beim Eröffnungsfilm der 61. Berlinale. Immerhin sind die Coen-Brüder eine fixe Größe im Weltkino der Gegenwart und ihr Western-Remake "True Grit" ist zudem für 10 Oscars nominiert.

Am Kino, zumal am amerikanischen, haben sich die Coen-Brüder seit ihren Anfängen abgearbeitet, haben Genres variiert und ihren Filmen mit schwarzem Humor doch eine eigene, unverkennbare Note verpasst. Der Film noir hat es ihnen besonders angetan von ihrem Debüt "Blood Simple" über "Fargo" bis zu "The Man Who Wasn´t There", haben mit "Intolerable Cruelty" aber auch der Screwball-Comedy ihre Reverenz erwiesen oder – allerdings mit wenig Erfolg – den britischen Komödienklassiker "Ladykillers" in die amerikanischen Südstaaten verlegt.

Nah am Western war vom Schauplatz her schon die oscargekrönte Cormac McCarthy-Adaption "No Country for Old Men", ist aber aufgrund der Situierung in der Gegenwart doch dem Film noir zuzuordnen. Auf neues Gebiet begeben sich die Regie-Brüder somit mit ihrem Remake von Henry Hathaways Western "True Grit" (1969) – und bleiben sich doch treu.

In der Handlung halten sie sich teilweise bis in die Dialoge hinein ziemlich genau an die Erstverfilmung von Charles Portis´ 1968 erschienenem Roman, doch der Erzählton ist von Anfang an ein ganz anderer. Ist Hathaways Film ein ausladender elegischer Spätwestern, getaucht ins warme Licht und die Farben des Herbstes, so verlegen die Coens die Handlung komplett in den Winter. Dazu kommt als Eröffnung das Bibelzitat "Der Gottlose flieht, auch wenn ihn niemand jagt" (Sprüche Salomos 28,1) sowie ein rückblickendes Voice-over der gealterten Protagonistin, die feststellt, dass man nichts außer der Gnade Gottes umsonst bekommt.

Von Anfang an liegt damit eine düstere, hoffnungslose Stimmung über dem Film. Passend dazu sparen die Coens auch die idyllische Exposition Hathaways aus, lassen die Handlung mit der Suche der 14-jährigen Mattie Ross (Hailee Steinfeld) nach einem Marshal, der mit ihr Jagd auf den Mörder ihres Vaters machen soll, einsetzen. Im einäugigen Alkoholiker Rooster Cogburn (Jeff Bridges) wird sie ihrer Meinung nach einen passenden Mann finden, gilt Cogburn doch als der fieseste Marshal in der ganzen Region.

Wie schon in "The Assassination of Jesse James" hat Roger Deakins den Bildern wieder die Farben förmlich ausgetrieben. Staubig sind die Straßen von Fort Smith, trotz Zivilisation kein Ort der Wärme. Düsterer wird es, wenn Mattie mit Cogburn und dem Texas-Ranger LaBoeuf (Matt Damon), der den Mörder Tom Chaney wegen des Kopfgelds, das für einen anderen Mord ausgesetzt ist, schnappen möchte, ins Indianergebiet aufbrechen.

Weit sind zwar die Landschaften, tragen aber kein Versprechen, keine Hoffnung in sich, sondern wirken abweisend und lebensfeindlich. Kein sattes Grün gibt es hier, sondern abgestorben und fast monochrom grau sind die Wälder, durch die sie ziehen. Je weiter sie kommen, desto härter und düsterer wird "True Grit" damit.

Gibt es am Anfang noch Witz, wenn Mattie beinhart mit einem Pferdehändler verhandelt oder Cogburn anheuert, so folgen bald beunruhigende Begegnungen: Auf einem verdorrten Baum entdecken sie einen Gehenkten, den bald ein Indianer mitnehmen wird, um ihn einzutauschen, und ein Quacksalber kommt ihnen in ein Bärenfell gehüllt entgegen.

Wie Licht und Farben sorgen auch die Figurenzeichnung für einen ungleich härteren Ton als im Original. Um einiges fieser und brutaler als John Wayne legt Jeff Bridges in Fortführung seiner Rollen in "The Big Lebowski" und "Crazy Heart" seinen Cogburn an. Tritte für Indianerjungs sind für ihn ganz normal, beim Schießen fackelt er nicht lange und im Suff fällt er auch mal – aber das gab es schon im Original – vom Pferd. Wenn er aus seiner Pritsche im Laden des Chinesen herauskrabbelt meint man den Gestank und die Alkoholfahne ebenso spüren zu können, wie beispielsweise später den Körpergeruch des Mörders Chaney.

In bester Coen-Manier gibt es auch drastische Momente, wenn Cogburn Blut ins Gesicht spritzt, zwei abgehackte Finger auf einem Tisch liegen bleiben oder LaBoeufs Mund arg malträtiert wird, wenn er von Gangstern mitgeschleift wird, aber auf inszenatorische Mätzchen verzichtet das Regie-Duo. Hier wird das Genre nicht ironisiert, sondern konsequent weiterentwickelt. 40 Jahre nach dem melancholischen Abgesang im Spätwestern ist der Blick auf den Westen und seine "Helden" um einiges nüchterner, dreckiger und damit wohl auch realistischer.

Da mag die Geschichte an sich zwar zum gleichen Ende geführt werden wie bei Hathaway, doch die Coens hängen einen 25 Jahre später spielenden Epilog an, der die Vergeblichkeit allen Handelns angesichts der Vergänglichkeit ebenso wie die Aussage, dass man für alles bezahlt, nochmals vor Augen führt: Aus dem großen Abenteuer, das sich Mattie erwartete, ist eine Erfahrung geworden, die ihr Leben entscheidend, aber kaum positiv beeinflusste, und die "Helden" von einst sind entweder gestorben oder verschwunden oder fristen ihr Dasein als Akteure in Western-Shows, in denen sie einen Mythos schaffen, der mit der wenig heldenhaften harten Realität wenig zu tun hat.

Trailer zu "True Grit"