Das kanadische Künstlerpaar Janet Cardiff und George Bures Miller schafft Installationen, die alle Sinne aktivieren. Das Museum Tinguely in Basel zeigt einen umfassenden Überblick über ihr Schaffen - von ersten interaktiven Klangarbeiten bis zu neusten, dystopisch-immersiven Rauminstallationen. Es sind Hommagen an traditionsreiche kulturelle Praktiken wie das Kino, das Theater oder das Musizieren.
Den Anfang ihrer über 30-jährigen Karriere als Künstlerpaar machten ortsspezifische 'Audiowalks' mit Walk- oder Discmans. Ab 2000 entwickelten sie eine besondere Form der Augmented Reality, indem sie ihre Walks mittels verschiedener Videoabspielgeräte um eine Dimension erweiterten - ein Erlebnis, das von Teilnehmenden als eine Art interaktives, körperlich erfahrbares Kino beschrieben wurde. Auch die im Museum Tinguely präsentierten Installationen laden zum Mitmachen ein und entführen das Publikum in ihre Traumwelten. Dafür nutzen Cardiff und Miller verschiedene technische Ansätze, um unterschiedliche Klangerlebnisse zu Kreieren. "To touch" (1993), "The Cabinet of Curiousness" (2010) oder "Experiment in F# Minor" (2013) spielen mit der Möglichkeit, Sound durch Bewegung zu aktivieren. Durch Berührung oder den Schattenwurf eines Körpers erwachen die Arbeiten zum Leben und setzen Alltagsgeräusche, Melodien, Musikkompositionen oder flüsternde Stimmen frei.
Cardiff und Miller's Schaffen ist angetrieben von einer Faszination für imaginative kulturelle Praktiken wie das Schreiben und Erzählen, Film, (Puppen-)Theater, Oper und Musik. Bewusst arbeiten sie mit dem Unbewussten, mit Träumen, die fantastische und oft disruptive Assoziationsräume eröffnen. So ermöglicht "The Instrument of Troubled Dreams" (2018) das Komponieren eines eigenen Film-Soundtracks. Die Tasten des Mellotrons, eine analoge Urform des Samplers, wurden von Cardiff und Miller mit verschiedenen digitalen Klängen belegt: Vom Regenprasseln über Gesang und Orgelspiel bis hin zum Hundegebell oder Schusswechsel.
Kombiniert oder aufeinanderfolgend kann damit eine imaginäre Handlung erzählt werden. Bei "The Muriel Lake Incident" (1999) findet man sich hingegen in einem Miniatur-Kinosaal wieder. Setzt man sich die Kopfhörer auf, hört man nicht allein den Sound des laufenden Films: Das binaurale Audiosystem gibt den Klang räumlich wieder und erweckt die Illusion, inmitten eines Kinopublikums zu sitzen, das raschelt, flüstert oder Popcorn isst. Die Erzählebenen verschwimmen und die Betrachtenden werden Teil des Geschehens.
Das Künstlerduo betont seine Faszination für die Selbsttätigkeit der Maschine in Tinguelys Werk und bezeichnen ihn als einen ihrer wichtigsten Einflüsse. Wie in der Sammlungspräsentation im Museum Tinguely muss ein roter Knopf gedrückt werden, um mit "The Killing Machine" (2007) ein gleichsam düstereres Spektakel in Bewegung zu setzen. Inspiriert von der Kurzgeschichte "In der Strafkolonie" (1919) von Franz Kafka beginnen zwei Roboterarme ihren Totentanz und scheinen ein imaginäres Opfer auf einem Zahnarztstuhl mit spitzen Nadeln zu malträtieren. In "Sad Waltz and the Dancer Who Couldn't Dance" (2015) zwingt die Maschine eine Marionette zu einem ungelenken Tanz.
Mit raumgreifenden Installationen wie "Opera fora Small Room" (2005) oder "Escape Room" (2021) können die Besucher:innen schliesslich gänzlich in von Cardiff & Miller kreierte Welten eintreten und der Realität entfliehen. Kleinteiligst und detailreich eingerichtet, hinterlassen die Räume den Eindruck, dass deren Bewohner:innen in jedem Moment zurückkehren könnten. Sorgsam inszenierte Sound- und Lichteffekte erwecken den Raum zum Leben, regen die Fantasie an und erinnern an längst vergessene Träume.
Ein besonderes Highlight wird vom 1. Juli bis 10. September in der Druckereihalle im Basler Ackermannshof zu sehen sein: Janet Cardiffs grosse musikalische Installation "The Forty Part Motet" (2001). Ausgangspunkt für die Soundinstallation ist eine geistliche Vokalkomposition - die Motette "Spem in Alium" (um 1570) für acht Chöre zu je fünf Stimmen von Thomas Tallis. Das Duo zeichnete die Stimmen der vierzig Sänger:innen einzeln auf getrennten Tonspuren auf, um sie schliesslich unisono wiederzugegeben. Vierzig Lautsprecher, in einem Oval angeordnet, stehen für die Chormitglieder und machen den Klang im Raum skulptural erfahrbar.
Janet Cardiff und George Bures Miller
Dream Machines
7. Juni bis 24. September 2023