Klang / Körper – Saiteninstrumente aus Indien

Unter dem Titel "Die Musikalische Migrantin" berichtete die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 10. November 2013 über die Übersiedelung einer der bedeutendsten Sammlungen indischer Instrumente aus dem deutschen Rüsselsheim in das Zürcher Museum Rietberg. Einen Teil konnte das Museum dank den Gönnerbeiträgen des Rietberg-Kreises erwerben, einen weiteren Teil erhielt es vom Besitzer und Sammler geschenkt. Der deutsche Privatsammler, erfolgreiche Illustrator und Werbegrafiker Bengt Fosshag hatte im Laufe der letzten Jahrzehnte die aussergewöhnliche Sammlung zusammengetragen und nach einer bleibenden Heimat gesucht.

Fragt man den Sammler nach seiner Geschichte, so wird er erzählen, dass eine Laute aus Lahore, eine Sarinda, ihn in den 1960er Jahren anregte, zunächst Literatur über exotische Saiteninstrumente zu beschaffen. Der Besuch des Münchner Stadtmuseums, das eine Sammlung aussereuropäischer Musikinstrumente aus einer Privatsammlung zeigte, begeisterte ihn dann so sehr, dass er versuchte, ebenfalls solche Stücke zu erwerben. Er kaufte Saiteninstrumente in der Türkei und Marokko, ein Bekannter brachte ihm aus dem Iran eine Tar (Langhalslaute) und ein Hackbrett mit.

Über Jahre hinweg entstand auf diese Weise eine der wichtigsten Lautensammlungen in Europa. Dabei verlagerte Bengt Fosshag seinen Sammelschwerpunkt allmählich von reinen Instrumenten hin zu regelrechten "Lautenskulpturen" aus Indien, Nepal und Afghanistan. Für die Ausstellung "Mit Haut und Haar" (1996) überliess er dem Lindenmuseum in Stuttgart einen grossen Teil seiner Sammlung, um sich nur noch auf die Lauten Dhodro Banam der ostindischen Ureinwohner Santal und auf die nepalesische Damyen zu konzentrieren. Es entstand eine fabelhafte Sammlung, die die Abteilung indische Kunst im Museum Rietberg nicht nur ergänzt, sondern um ein einzigartiges neues Thema erweitert.

Die Sammlung besteht aus 92 Musikinstrumenten, die mit Ausnahme von neun Instrumenten aus Indien und Nepal stammen. Sie entstanden mehrheitlich am Anfang oder in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Genauere Angaben zur Herstellung, Herkunft oder Verwendung fehlen. Die prominentesten Instrumente der Sammlung gehören zur Kultur der Santal, einer tribalen Gemeinschaft in Indien. Unter den instrumentalen Skulpturen sind die Dhodro Banam ("hohles Instrument") und Huka Banam ("Kokosnuss-Instrument") wohl die spektakulärsten. Beide finden sich heute kaum mehr. Sie werden zunehmend durch andere Instrumente ersetzt; eine Entwicklung, die mit der wachsenden Integration der Santal in die indische Gesellschaft einhergeht.

Die Dhodro Banam fertigt man aus einem einzigen Stück Holz, das in vier gleiche Teile aufgeteilt wird. Die Herstellung beginnt mit dem Bauch, der oval vom Schnitzer ausgehöhlt wird. Dann folgt der Brustkorb, der gerade Hals führt in den Kopf über. Dort findet sich am unteren Teil ein Loch für die Saite. Der Dhodro-Banam-Spieler hält das Instrument vertikal, Lautenhals und Spielhand oben, die Bogenhand unten. Die Huka Banam sieht ähnlich aus, wird aber umgekehrt gehalten. Anders als bei der Dhodro Banam befinden sich bei der Huka Banam, die sich an der Brust des Spielers abstützt, Hals und Spielhand unten, die Hand mit dem Bogen oben. Ausserdem kennt die Huka Banam keine Wirbel, die Saite wird am Hals festgebunden.

Je nach Quelle zählt man zwischen 6 bis 10 Millionen Santal (auch Santhal, Sontal oder Sonthal). Sie bilden damit die grösste und als "Stamm" anerkannte Bevölkerungsgruppe in Indien. Sie leben in ländlichen Gebieten vor allem in den ostindischen Bundesstaaten Jharkhand, West Bengalen, Bihar, Odisha und Assam, kleine Gruppen auch in den Nachbarstaaten Bangladesch und Nepal. Sie verfügen über eine eigene Sprache, das Santali, das zur Familie der austro-asiatischen Munda-Sprachen gehört, also eher mit den südostasiatischen als mit den grossen indischen Sprachen verwandt ist. Das Santali wird in lateinischer und in verschiedenen indischen Schriften geschrieben. Die Mehrheit der in Westbengalen und in angrenzenden Gebieten ansässigen Santal widmet sich der Landwirtschaft, andere arbeiten in Minen oder als Tagelöhner.

Die Santal besitzen trotz der voranschreitenden Hinduisierung und Christianisierung ihre eigene höchste Gottheit (Thakur oder Chando) sowie weitere Gottheiten (Bonga) und Naturgeister, denen sie jedoch weder heilige Stätten noch Bilder zuordnen. Auch durch ihre Ursprungsmythen und eine eigene Sozialstruktur unterscheiden sie sich von der indischen Kastengesellschaft. Zudem stellt das selbstbewusste Auftreten der Santal-Frauen die sozialen Normen des ländlichen Indien in Frage: Sie nehmen nicht nur am kulturellen Leben teil, sondern wählen auch ihre Lebenspartner selbst.

Musik begleitet das Leben der Santal. Sie ist omnipräsent im Alltag und bei festlichen Anlässen. Die Santal gelten als hervorragende, leidenschaftliche Tänzer und Musiker.Die meisten Lieder und Tänze der Santal werden bestimmten Jahreszeiten und Lebensabschnitten zugeordnet. Während des Baha-Blütenfestes im Frühling ist es üblich, alle Anwesenden zum Mitsingen und Mittanzen einzuladen. Die Bambusquerflöte gilt dabei als unverzichtbar. Bei grossen Festen senden eiserne Kesseltrommeln eine unüberhörbare Einladung an benachbarte Gemeinschaften.


Katalog: "Klang / Körper – Saiteninstrumente aus Indien", Hrsg. Johannes Beltz, Marie Eve Celio, Museum Rietberg Zürich. Mit Beiträgen von Marie Eve Celio, Bengt Fosshag, Albert Lutz, Ludwig Pesch. Broschur, Fadenheftung, 80 S., über 90 Abb. (farbig), 23 x 30 cm. ISBN 978-3-907077-54-2. Verkaufspreis während der Ausstellung: CHF 28 | 23 EUR, erscheint im September 2014.

Klang / Körper – Saiteninstrumente aus Indien
5. September 2014 bis 9. August 2015