Junge Kunst und die Moderne

Mit der Ausstellung "Leichtigkeit und Enthusiasmus. Junge Kunst und die Moderne" plädiert das Kunstmuseum Wolfsburg für einen optimistischen Blick auf die Gegenwartskunst und knüpft mit sieben ausgewählten Positionen an seine 15-jährige Ausstellungsgeschichte großer Überblicksdarstellungen zeitgenössischer Kunst an. Dieser Optimismus basiert auf der Überzeugung, dass auch angesichts der globalen Wirtschaftskrise die Kunst lebensnotwendiges Erkenntnis- und Lebensmittel bleibt, und er wird mit der Einführung zweier geistesgeschichtlicher Begriffe aus der zunächst entfernten Vergangenheit einer frühen Moderne begründet: Leichtigkeit und Enthusiasmus.

Die Künstlerinnen und Künstler Duncan Campbell, Marcel van Eeden, Friederike Feldmann, Sabine Hornig, Julian Rosefeldt, Tatiana Trouvé und Sascha Weidner, geboren zwischen 1962 und 1976, überprüfen die traditionellen Kunstsparten Malerei, Skulptur, Zeichnung oder Fotografie und Video in ihrer Geschichtlichkeit und entwickeln sie weiter. Allen geht es darum, sich - ausgehend von kunstgeschichtlichen Genres - ein offenes Terrain zu erarbeiten, in dem sie ihre individuellen Erfindungen ansiedeln können.

Leichtigkeit meint zum Beispiel, dass der Produktionsprozess von Kunst nicht im Mittelpunkt steht. Handwerkliche Fähigkeiten werden nicht als solche demonstriert, auch nicht negiert oder delegiert, sondern eingesetzt, um zu neuen Ergebnissen zu kommen. Künstlerisches Tun kann dabei handwerkliche Techniken imitieren. Im Falle von Friederike Feldmanns Malerei suggeriert das fertige Bild einen Entstehungsprozess, der doch ganz anders stattgefunden hat. Der Künstlerin geht es um "das Malen und Zeichnen selbst, um den Vorgang des Schaffens von Bildern" und schließlich um das Sehen an sich.

Denkendes Sehen wird auch verlangt, um sich auf die Langsamkeit der Filmerzählungen Julian Rosefeldts einlassen zu können. In seinen Arbeiten erzählt er Geschichten aus dem Reich eines modernen Sisyphus. Es geht um die Dekonstruktion eines Plans: Übergenaue Sorgfalt in der Vorbereitung und Kontrolle vereitelt das Erreichen des Ziels. Die Arbeit "The Shift" (2008) führt die Zwecklosigkeit der eitlen Bestrebungen, die Natur dominieren zu wollen, in einer mitreißenden Gegenüberstellung vom Menschen und seinen Kontrollapparaturen sinnbildlich vor Augen.

Die Künstler wollen sich nicht im einmal Erkannten und Erarbeiteten einrichten, sondern die Grenzen des eigenen Werks immer wieder überschreiten. Beispielhaft ist hier Marcel van Eeden zu nennen, der innerhalb weniger Jahre Erfolg und Anerkennung mit seinen Zeichnungszyklen erreichte und sich jüngst der Malerei zuwendet. Ausgangspunkt seiner Bilderserien sind reale Personen, die in verschiedensten Zusammenhängen ihres Zeitgeschehens eingebaut werden. Man könnnte von einem fiktionalen Umschreiben der Geschichte sprechen.

Wahrnehmungsveränderung, -trübung und eine Entblößung von Erinnerung als Vehikel der Täuschung ist das Thema des niederländischen Künstlers wie auch das des jungen irischen Filmemachers Duncan Campbell. Der Film "o Joan, no ...," (2006) lehnt sich schon im Titel an Samuel Becketts Teleplay Eh Joe an. Doch die Radikalität seiner Geste liegt nicht allein darin, auf Beckett mit einem auf schwarzem Raum, Bildlosigkeit und menschlichen Tönen beruhenden Stück zu reagieren, sondern auch in der Aufgabe der Übereinkunft von Bild und Ton.

Die Installationen von Tatiana Trouvé behandeln die Überlagerung verschiedener Zeitebenen. Skulptur als Raumzeichnung, (scheinbare) Aufhebung physikalischer Gesetze, Verzauberung alltäglicher Dinge, das Moment der Gefährdung. Ihre raumspezifischen Konstruktionen aus Alltagsgegenständen, Plexiglas, Metall oder Holz ergänzt durch Zeichnungen beschreibt die Künstlerin als "mentale Architekturen".

Sabine Hornig verändert durch Eingriffe reale Räume und arbeitet dabei mit Isolierung, Verkleinerung und Vereinfachung architektonischer Fragmente. Diese entnimmt sie ihrer alltäglichen Umgebung und setzt dabei auf Erinnerung und Wiedererkennung und die Lücke zwischen Beidem.

Für Sascha Weidner ist die Fotografie das Medium, sich dem Leben auszusetzen. Sie hält Momente in ihrer Schönheit, Angst oder Schmerzlichkeit fest, beschwört Erinnerungen, denen man sich nicht entziehen kann, die ausgehalten oder gefeiert werden wollen. Das Drama und die Stille in Weidners Bildern finden an jenen peripheren Orten statt, die Sehnsucht, Begehren, Glück oder Zerstörung spiegeln: Autobahnraststätten, Bettlakenlandschaften oder verwunschene Waldlichtungen und Seen.

Alle diese Künstler sind Enthusiasten im besten Sinne: Im 16. Jahrhundert als Begriff für Inspiration oder göttliche Eingebung gebraucht, verlor der Begriff Enthusiasmus im 18. Jahrhundert mit der Aufklärung seine zunächst religiöse Grundlage und steht nun für ein intensives, leidenschaftliches Interesse.

Leichtigkeit und Enthusiasmus sind nicht ohne Neugier zu haben. Neugier ist auch eine Form von Zweifel, will hinter die Oberfläche gelangen und setzt intelligentes Sehen voraus – ein Sehen, das verlangt, sich geistig und körperlich zu positionieren. Es lohnt sich bei unserem Unternehmen Künstler unserer Gegenwart im Geiste miteinzubeziehen, die für die Auseinandersetzung der Jüngeren mit gegenwärtiger Wirklichkeit Türen aufgestoßen haben: etwa Bruce Nauman, Dan Graham, Arnout Mik, Wolfgang Tillmans, Nan Goldin, um nur einige zu nennen. Durch diese Türen sind diese Sieben hindurchgegangen – neugierig, selbstbewusst.

Voller Leichtigkeit und Enthusiasmus befragen die Künstler in ihren Arbeiten die Realität und präsentieren sie als eine konstruierte oder fiktive. Sie stellen der Wahrnehmung Fallen und nutzen dazu neben konzeptionellen sowohl literarische, soziologische als auch dokumentarische Erzählweisen. Sie bearbeiten die Pathosformeln der Moderne durch das Re- und Dekonstruieren ihrer Gesten: Zeit, Architektur und Raum, Bild- und Ortlosigkeit, Geschichte und Fiktion, Erinnerung und Fälschung. Auf diese Weise schärfen diese Künstler den Blick auf unsere Welt und lassen neue Wahrheiten hervortreten.


Leichtigkeit und Enthusiasmus
Junge Kunst und die Moderne
20. Juni bis 25. Oktober 2009