Joseph Cornell: Fernweh

Die Ausstellung "Joseph Cornell: Fernweh" zeichnet umfassend das ungewöhnliche Leben und Schaffen dieses Künstlers nach. Die richtungweisende Schau präsentiert mehr als 80 seiner Werke: von Collagen, Filmen und frühen, in den 1930er Jahren geschaffenen Arbeiten bis hin zu seinen bekanntesten Schöpfungen, den kunstvoll konstruierten Kästchen (boxes). Damit findet in Österreich erstmals eine Gesamtschau von Cornells Werk statt, zugleich die erste große Personale in Europa seit mehr als 30 Jahren.

In europäischen Museen sind nur sehr wenige Werke Cornells ständig zugänglich. Die Ausstellung gibt nun Gelegenheit, selten verliehene Meisterwerke aus bedeutenden öffentlichen und privaten Sammlungen zu sehen. Gezeigt werden wichtige Werke aus allen großen Serien, die der Künstler im Laufe seiner Karriere schuf. Manche Werke reisen zum ersten Mal nach Europa; andere werden erstmals nach vielen Jahren wieder öffentlich gezeigt. Etliche der wichtigsten Leihgaben befinden oder befanden sich bemerkenswerterweise in den Privatsammlungen von Künstlern, unter anderem in denjenigen von Jasper Johns, Marcel Duchamp und Dorothea Tanning.

Die im Kunsthistorischen Museum präsentierten Werke Joseph Cornells treten in faszinierende Dialoge mit den verschiedensten historischen Objekten, deren Bogen sich von Gemälden der Renaissance über Gegenstände des Münzkabinetts bis hin zu altägyptischen Grabbeigaben spannt. Am intensivsten ist der Dialog mit der Kunstkammer des Museums und deren Beständen an mirabilia, naturalia, artificialia und scientifica.

Cornell war nicht nur Künstler, sondern auch einer der größten Sammler des 20. Jahrhunderts. Zur Herstellung seiner Werke griff er auf die zahllosen kleinen Dinge zurück, auf die er in Antiquariaten, auf Flohmärkten und in Billigläden stieß oder die er an den Stränden von Long Island angeschwemmt fand: Murmeln, Muscheln, Vogelnester, Vorhangringe, Teile von Uhren, vergriffene Bücher und jede Menge Ephemera aus Papier wie Briefmarken, Landkarten, Stadtpläne, Drucke, Reiseführer, Schiff- und Eisenbahnfahrpläne. Andenken, Relikt und Muster in einem, scheinen Cornells Werke imaginäre Entdeckungsreisen um die Welt zu dokumentieren und dabei mit der Sprache von Museen und den Klassifikationssystemen zu spielen, auf denen Naturgeschichte gründet.

Über vierzig Jahre lang hat Cornell sein eigenes privates Kuriositätenkabinett geschaffen, das uns nicht weniger erstaunlich erscheint als die Kunstkammern der europäischen Kaiser, Könige und Adeligen der Renaissance. Wie sie erfreute sich Cornell an kleinen Dingen – und an den Geschichten, die sie erzählen. Wie sie versuchte er die Welt in einen Kasten zu bannen, um zu verstehen, wie sie funktioniert und welcher Platz dem Menschen darin zukommt. Und wie sie verschenkte er besondere Gegenstände an besondere Menschen. Der einzige Unterschied lag im materiellen Wert dieser Geschenke. Cornell ging es nicht um teure oder extravagante Dinge: Seine Welt war eine Welt schlichter Schätze, aus denen er die wunder- und kostbarsten Schöpfungen zu machen verstand. Er war, wie es einmal ein Freund formulierte, "der Benvenuto Cellini des Strandgutes".

Aus diesem Grund wird das letzte Kapitel der Ausstellung "Joseph Cornell: Fernweh" in der Kunstkammer selbst aufgeschlagen, wo vorübergehend eine kleine Gruppe von Objekten Cornells gezeigt wird. Um die Affinität zu unterstreichen und weiter zu ergründen, können Besucher einem speziellen Parcours durch die Kunstkammer folgen, der sie diese mit den Augen Cornells betrachten lässt. In jedem der Säle ist ein historisches Objekt aus der Sammlung des Museums zu sehen, das in Cornells Arbeit einen besonderen Widerhall findet. Durch diese Gegenstände erfahren wir mehr über die Interessen Cornells und das Ausmaß, in dem sich Künstler und Kunsthandwerker jenen Gegenständen über viele Jahrhunderte gewidmet haben.


Joseph Cornell: Fernweh
20. Oktober 2015 bis 10. Januar 2016