Jonathan Meese gründet "Saalstaat" in Rolandseck

Unter dem Titel "Erzstaat Atlantisis" inszeniert Jonathan Meese vom 1. Mai bis zum 30. August 2009 im Arp Museum Bahnhof Rolandseck weltweit erstmals sein nahezu komplettes plastisches Werk, ergänzt um großformatige Gemälde, Klang- und Filminstallationen sowie szenographisch-utopische Einbauten. Meeses Werk wird in der von Daniel J. Schreiber kuratierten Ausstellung in Dialog gesetzt mit Arbeiten zum Thema Atlantis von Joseph Beuys, Thomas Baumann sowie aus dem Umfeld der Stuttgarter Galeristen Helga und Hans-Jürgen Müller.

"Die Atlantisischen sind die totalen Spielkinder" behauptet Jonathan Meese, und doch ist seine Gründung des Erzstaates Atlantisis eine ernste Sache. In seinem Rolandsecker "Saalstaat" versammelt er teils überlebensgroße Würdenträger, die mit martialischen Gesten, drohend ausgefahrenen Riesenpenisse und ordensdekorierten Brüsten ihren Herrschaftsanspruch markieren. Allerdings gerät dem Malerbildhauer und Performancekünstler alles zur Groteske. In dieser ersten, nahezu lückenlosen Retrospektive auf sein bildhauerisches Werk lässt er seine Figuren "Babybewegungen" üben, "Staatsballet" tanzen oder lädt sie zur "Geburtstagsrevolution" ein. 53 bizarre Bronzeplastiken und 14 großformatige Ölgemälde sind im Arp Museum Bahnhof Rolandseck in drolligem Spiel vertieft: Während für General "Pony" es nie zu spät ist, Tierbaby zu sein, trägt Babyadmiral Nullpe eine Gefecht bei Salami und Lakritze aus, und General "Sweetie" erscheint als Wau-Wau im Wolfsfell. Über all dem schwebt ein teuflisch revolutionärer Spass an der Freud.

Das Schauspiel erstreckt sich über Außenflächen sowie den Neubau von Richard Meier. Zwei Bühneneinbauten bilden die beiden Spannungspole der von Meese inszenierten "totalen Gegenwelt": Die maßstabsgetreu rekonstruierten Ruinen der vom griechischen Philosophen Platon beschriebenen Kapitale von Atlantis verkörpern eine vergangenheitsorientierte Utopie. Der stellt Meese die "totale Zukunft" seines geheimnisvollen Erzraums gegenüber. Hier, so verspricht der Künstler, präsentiert er erstmals eine von ihm entdeckte "Weltformel", welche die Menschheit zur "Diktatur der Kunst" führen wird. In dem 40 Meter hohen Aufzugschacht des spektakulären Museumsgebäudes installiert Meese das Herzstück der Ausstellung, eine vulkanische Druckkammer, in der nostalgische Tradition derart stark komprimiert wird, dass sie oben wie Lava als "das absolut Neue" ausgeschleudert wird. Vor dem malerischen Rolandsecker Panorama aus Waldhang, Flusslauf und Siebengebirge vollzieht sich die Revolution des Erzkünstlers, zumindest für die Ausstellungsdauer vom 1. Mai bis zum 30. August 2009.

Thomas Baumanns meterhohe Tsunamiwelle WAK, Kunstkennern von der Art Basel 2008 bekannt, vergegenwärtigt indes im Skulpturengarten hinter dem Museum die stetige Untergangsgefahr, der atlantische Utopien ausgesetzt sind. Joseph Beuys, der in der Vernichtung von Atlantis das Symbol des Verlusts einer naturnahen Spiritualität sah, ist mit fotografierten Sandzeichnungen, zeichnerischen und malerischen Arbeiten sowie seiner jüngst neu erschienenen Filmtrilogie Atlantis in Meeses Erzstaat vertreten. Das von der Documenta 1992 bekannte Atlantis-Projekt von Helga und Hans-Jürgen Müller – eine von den Stuttgarter Galeristen zum Zwecke ethischer und moralischer Erneuerung auf Teneriffa ins Leben gerufene kulturelle Begegnungsstätte – ist mit fantastischen Ölgemälden von Carl Laubin, Architekturmodellen von Frei Otto und Leon Krier sowie Arbeiten von Hans-Jürgen Müller selbst präsent.

In dem drei Wochen nach Ausstellungseröffnung bei DuMont erscheinenden, vom Kurator Daniel J. Schreiber zusammengestellten Katalogbuch sind Beiträge von Jonathan Meese, Bazon Brock, Klaus Gallwitz, Durs Grünbein, Doris Mampe und Daniel J. Schreiber sowie ein Vorwort des Direktors des Arp Museums Bahnhof Rolandseck Oliver Kornhoff enthalten, überdies eine Bildstrecke von der Ausstellung und ihren Exponaten sowie eine DVD mit dem Ausstellungsfilm.

Ebenfalls bei DuMont erscheint eine Sonderedition von Jonathan Meese mit 20 gerahmten Diptychon-Unikaten, die zu je 1.650 EUR verkauft werden. Die Edition wird in der Ausstellung gezeigt und ist im Katalog abgedruckt.
Am 30. April 2009, dem Tag der Ausstellungseröffnung, wird Meese ab 15.30 Uhr bei einer spektakulären Wanderperformance den Erzstaat Atlantisis proklamieren. Das Begleitprogramm der Ausstellung umfasst voraussichtlich einen Lustmarsch von Bazon Brock, eine Lesung von der Künstler-Mutter Brigitte Meese, Podiumsgespräche, die der Kurator Daniel J. Schreiber mit Jonathan Meese und Friedhelm Mennekes führt, sowie eine Interpretation des im Theresienstädter Konzentrationslager entstandenen Librettos von "Der Kaiser von Atlantis" von Franz Peter Kien durch das Junge Theater Bonn Beuel.


Erzstaat Atlantisis
1. Mai bis 30. August 09