Jean Grémillon - Ein vergessener Meisterregisseur

Selten zu sehen sind die Filme des 1901 in der Normandie geborenen und 1959 in Paris gestorbenen Jean Grémillon. Schmal blieb sein Werk nicht zuletzt aufgrund seines Beharrens auf seiner Unabhängigkeit. Das Österreichische Filmmuseum widmet diesem zwar wenig bekannten, aber dennoch großen Regisseur des französischen Kinos eine Retrospektive.

Über die Musik kam Jean Grémillon zum Kino, arbeitete er doch zunächst als Violinist bei Stummfilmvorführungen in Paris, das in den 1920er Jahren das Zentrum der Avantgarde war. 1923 begann er seine Filmkarriere mit einer Reihe von Dokumentarfilmen, drehte 1924 den abstrakten Film "Photogénie mecanique" und zwei Jahre später den impressionistischen Dokumentarfilm "Tour au large". Einen ersten künstlerischen Höhepunkt erreichte er mit seinen impressionistischen Stummfilmen "Maldone" (1928) und "Gardiens de phare" (1929).

Diese Erfolge öffneten Grémillon zwar die Türen der Filmwirtschaft, doch der im Auftrag des Konzerns Pathé-Nathan gedrehte Tonfilm "Le petite Lise" ("Die kleine Lise", 1930) wurde nicht zuletzt aufgrund von Grémillons Experimenten mit dem Ton zu einem kommerziellen Misserfolg. Weil er auch aufgrund der Krise des französischen Films nach diesem Flop in seiner Heimat keine Aufträge mehr erhielt, versuchte er sein Glück in Spanien und Deutschland. Doch erst mit dem für die deutsche UFA aber auf Französisch mit Jean Gabin in der Hauptrolle gedrehtn "Gueule d´amour" ("Eine Fresse zum Verlieben", 1937) stellte sich wieder ein Erfolg ein.

Mit dieser ins Melodram umschlagenden Komödie um einen Korporal, dem eine Frau aus der oberen Gesellschaft zum Verhängnis wird, gelang Grémillon ein Film der sich in seinem poetischen Realismus auf der Höhe der Zeit befand. Diesem Stil blieb er auch mit dem atmosphärisch dichten Krimi "L´etrange Monsieur Victor" ("Der merkwürdige Monsieur Victor", 1938) treu und entwickelte ihn in "Remorques" ("Schleppkähne", 1939-41) zur Perfektion. Meisterhaft wird hier die Natur verknüpft mit der Handlung um einen Kapitän eines Schleppers, der sich während der Bergung eines in Seenot geratenen Schiffes unglücklich in die Frau des anderen Kapitäns verliebt.

Auch während der Zeit der deutschen Besatzung gelangen Grémillon mit "Lumière d´été" ("Wetterleuchten", 1942) und "Le ciel est á vous" ("Der Himmel gehört euch", 1943) zwei Meisterwerke. In ersterem, der mit Jean Renoirs ungleich berühmterem "La règle du jeu" (1939) verglichen wird, werden an der Geschichte eines zynischen Schlossherrn und eines jungen Liebespaares aus der Arbeiterschicht mit schwarzem Humor und bissiger Charakterschilderung Klassengegensätze aufgezeigt.

Im Vergleich zu dieser bösen Abrechnung mit den Herrschenden, die von der französischen Vichy-Regierung verboten wurde, wirkt "Le ciel est à vous" ("Der Himmel gehört euch", 1943) auf den ersten Blick leichtgewichtig. Doch die Geschichte um einen Mechaniker und seine Frau, die leidenschaftliche Flieger sind, besticht durch präzise Beobachtung des Alltags und nüchterne Erzählweise, sodass der französische Filmhistoriker Georges Sadoul in diesem Film eine französische Variante des Neorealismus sah.

Nach Kriegsende drehte Grémillon mit "Le six juin á l´aube" (1944-46) einen dokumentarischen Montagefilm über die Landung der Alliierten in der Normandie, der aber vom Produzenten um fast die Hälfte gekürzt wurde. Nach diesen Differenzen scheiterte ein Projekt über die Revolution von 1848, wenig erfolgreich war trotz des Drehbuchs von Jean Anouilh "Pattes blanches" ("Tödliche Leidenschaft", 1949) und auch der auf einer Insel der Bretagne spielende "L´amour d´une femme" ("Die Liebe einer Frau", 1954), in dem ohne jede Sentimentalität Geschlechterverhältnisse beleuchtet werden, wurde ein Misserfolg.

In Folge sollte Grémillon, der von 1943 bis 1948 Vorsitzender der Cinématheque Francaise war, nur noch im Kurzfilm Beschäftigung finden. Als letzter Film vor seinem frühen Tod drehte er 1958 "André Masson et les quatre éléments".