Die Befreiung der Farbe in seiner Malerei und die Radikalität der Formauflösung machen Jean Egger (1897-1934) zu einem der bedeutendsten Künstler der Zwischenkriegszeit. Die Ausstellung im Lentos Kunstmuseum folgt den wichtigsten Lebensstationen des österreichischen Ausnahmekünstlers und führt anhand von Bildvergleichen seine bahnbrechenden Innovationen vor Augen, die ihm als Frühvollendeten einen besonderen Platz in der Kunstgeschichte gesichert haben.
Jean Egger – eigentlich Hans Egger – wird 1897 in Hüttenberg in Kärnten geboren. Nach dem Studium an der Münchner Akademie der Bildenden Künste unternimmt er mehrere Reisen. Bei einem Malaufenthalt in Sizilien kommt es zu einem wesentlichen künstlerischen Entwicklungssprung: Egger löst den Pinselstrich in beinahe gestischer Weise von der gegenständlichen Darstellung.
In Paris, wo er sich ab 1924 für mehrere Jahre niederlässt, knüpft er schnell Kontakte in den hohen Gesellschaftskreisen um Sophie Szeps-Clémenceau, der Schwägerin des französischen Ministerpräsidenten Georges Clémenceau. Ab 1926 stellt Egger regelmäßig in renommierten Pariser Kunstsalons aus. In der Porträtserie seiner Lebensgefährtin Signe Wallin tritt seine sensible Suche nach dem stärksten Ausdruck in der Malerei besonders klar hervor. Ihrer Darstellung liefert er sich in unzähligen Abbildungen ihres Gesichts förmlich aus. Die Bandbreite reicht von einem schwungvoll-expressiven Duktus über melancholisch-nachdenkliche Gestaltungen bis hin zu Annäherungen an das Informel oder nahezu manischen, psychisch motivierten Ausbrüchen in das Proto-Existenzialistische.
Mit seiner Einzelausstellung in der Pariser Galerie Sloden im Jahr 1930 steht Jean Egger am Höhepunkt seiner Karriere. Während seiner Aufenthalte in der Bretagne und der Normandie malt er dünnflüssige, linear reduzierte oder stark pastose Landschaftsbilder.
Werke von Joan Miró, André Masson und Yves Tanguy inspirieren ihn zu beinahe abstrakten Aquarellen. In diesen All-over-Kompositionen legt Egger den Fokus auf äußerste Reduktion und formale Auflösung seiner Sujets und treibt damit den Modernitätsanspruch seiner Bilder am weitesten voran.
1929 kehrt Jean Egger mit seiner Lebensgefährtin Signe Wallin nochmals nach Kärnten zurück. Die Serie von Ansichten der Kirche in St. Martin am Silberberg malte Egger von der Veranda des Schulhauses aus. Die Gemälde, von denen sich eines im Besitz des Lentos Kunstmuseum befindet, unterscheiden sich in Lichtstimmung und Blickwinkel voneinander. Von einem Bild zum nächsten wird sichtbar, wie Egger gegenständliche Details mehr und mehr zugunsten eines optischen Gesamteindrucks zurücklässt. In den Gemälden dieser Serie interpretiert Egger die Kirche als sichtbaren Bestand von Mal zu Mal neu und anders. Die Bilder führen ihn damit in eine neue Phase der Malerei, in der er seiner Verve freien Lauf lassen kann.
Im Juni 1930 reisen Jean Egger und Signe Wallin zu Signes Schwester Ruth nach Schweden. Die pittoresken, rot gestrichenen Schwedenhäuser scheinen seine Aufmerksamkeit besonders auf sich gezogen zu haben und tauchen in der dort entstandenen Landschaftsserie auf. Er kombiniert sie mit lichten Wiesen, flirrenden Laubbäumen und tiefschwarzen Nadelhölzern.
An den Landschaftsbildern wird sichtbar, dass der Künstler den Pinsel wie einen Zeichenstift verwendet. Die Ölgemälde wirken impulsiv und in großer Erregung umgesetzt. Er malt feucht auf feucht, wodurch die Ölfarben auf der Leinwand neue Farbtöne erzeugen und sich die Konturen auflösen. Er kratzt mit dem Pinselstiel in die Farbkomposition, lässt andernorts die bloße Leinwand durchscheinen. Es entsteht ein impuslsiver, stark bewegter Bildeindruck, in dem die Formen zu verschwimmen scheinen.
Für Jean Egger wird Mallorca zur letzten Station seines kurzen Lebens. Bereits 1931 wird er in Wien wegen seines Lungenleidens behandelt. Im Herbst desselben Jahres findet in Wien seine einzige Ausstellung zu Lebzeiten in Österreich statt.
1932 übersiedeln Egger und Wallin in die Ortschaft Pollença im Norden Mallorcas. Das schöne Anwesen wird nach Eggers deutschem Vornamen „Can Hans“ genannt. Jean Egger trifft sich nun mit seinem katalanischen Malerkollegen Joan Miró. Auch enge Pariser Freunde und Freundinnen stellen sich zu Ferienaufenthalten ein. Auf Mallorca verspricht sich Jean Egger die langersehnte Genesung, doch das Gegenteil tritt ein. Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich zusehends. In Mallorca entstehen seine letzten großen Werke, in denen Egger die blühenden Mandelbäume und die hoch aufragenden Berge in der Nähe seines Hauses fest hält. Jean Egger stirbt mit nur 37 Jahren. Er hinterlässt in erster Linie Landschaftsbilder, Porträts und Aktdarstellungen. Die Befreiung der Farbe in seiner Malerei und die Radikalität der Formauflösung machen ihn zu einem der bedeutendsten Künstler der Zwischenkriegszeit.
Jean Egger
Revolutionär der modernen Malerei
Kuratorin: Brigitte Reutner-Doneus
Bis 7. Mai 2023