Jacopo Belloni - Rituale und ihr Stellenwert

Jacopo Belloni interessiert sich dafür, wie Menschen unvorhersehbaren Ereignissen und Chaos begegnen und dabei auf – oft kommerzialisierte – Rituale und Gegenstände des Selbstschutzes zurückgreifen.

Für seine Einzelpräsentation im Rahmen der Ausstellung "New Heads" gewährt Belloni dem Aarauer Publikum Einblick in ein neues Kapitel seiner visuellen und anthropologischen Recherchearbeit. In einer raumgreifenden Installation aus Skulpturen setzt sich Belloni mit den kulturhistorischen Bedeutungen spiritueller Schutzsymbole auseinander und hinterfragt ihren Gebrauch im 21. Jahrhundert.

Dem weit verbreiteten Neo-Mystizismus widmete sich Belloni bereits in "Paranoid lamp": Für die Arbeit aus dem Jahr 2020 nutzte er Salzkristalle, die vom boomenden Esoterikmarkt als Wundermittel zur Selbstreinigung angepriesen werden. Nüchtern in Eisen gefasst und mit Glühbirnen erleuchtet, veranschaulicht das Werk die teils zweifelhaften Versprechen der alternativen Heilmittelindustrie.

In seinen Arbeiten setzt sich Belloni mit dem Spannungsverhältnis zwischen objektiver Planbarkeit und willkürlicher Ungewissheit auseinander. Das zeigt sich auch in seinem jüngsten Werk: Er schafft geschwungene Schriftzüge aus Asche, die aus einer Feuerstelle stammt, an der er mit seinen Freunden zusammenkam. In "Prophecies after the blaze" (2021) versteht Belloni das Feuer als Symbol und Sammelbecken für die Erinnerungen und Zukunftswünsche der Menschheit. Indem er die soziale Bedeutung des Feuers seinem praktischen Gebrauch als Instrument zivilisatorischer Industrieentwicklung gleichwertig gegenüberstellt, schafft Belloni bei den Betrachtenden ein Bewusstsein für die eigene Verstrickung in einen Wirtschaftskreislauf, der von den Ängsten und Sorgen des Individuums profitiert.

In seiner neusten Arbeit, die Belloni speziell anlässlich der Ausstellung "New Heads" anfertigt, richtet der Künstler den Fokus auf den Verlust der Lesbarkeit kultureller und kulturhistorischer Kontexte. Die Herstellung der Serie zylinderförmiger Messing-Bronze-Skulpturen geht von Bellonis eingehender Untersuchung Unheil abwehrender Symbole aus. Ihrem ursprünglichen Zweck entfremdet, dienen die in Massenproduktion angefertigten Schmuckanhänger in Form von Hörnern, Hufeisen, Besen, Feigenhänden und vielem mehr heute grösstenteils der kommerziellen Wertschöpfung. Obwohl nur wenige heute noch um die traditionellen Bedeutungen der einzelnen Symbole wissen, profitieren Markttreibende, besonders an beliebten Tourismuszielen, noch heute von der sinnlich-übersinnlichen Ausstrahlung dieser Objekte. Bellonis produktionsästhetische Installation führt die metallischen Amulette an den Ort ihrer Herstellung zurück und beschwört ihren ursprünglichen Gebrauchswert im Ausstellungsraum auf fast gespenstische Weise herauf. So entfaltet sich eine Diskussion über das Bedürfnis nach Ritualen und ihrem Stellenwert in unserer Gesellschaft.

Jacopo Belloni, geboren 1992 in Ancona (IT), lebt und arbeitet in Genf und Rom.

New Heads: Jacopo Belloni
Förderpreis der HEAD – Genève
13. November 2021 bis 2. Januar 2022