Der Begriff "Fetisch" begegnet uns heutzutage auf Schritt und Tritt in diversen Kontexten: mal ist die Rede vom "Dialekt-Fetischismus" in den Medien, mal scheint bereits der Fortschritt zum Fetischwort unserer Gesellschaft geworden. Diese verbreitete Fetischisierung geht auf die urmenschliche Obsession für Gegenstände zurück. Klar ist: Dinge erzählen uns Geschichten, davon zeugen nicht zuletzt auch zahlreiche Kunstwerke.
Mit der bekannten Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen ist auf der Suche nach solchen Narrativen ein einzigartiges Panorama an Themenclustern und Querverbindungen innerhalb des vielfältigen Bestands der Graphischen Sammlung ETH Zürich entstanden.
Seit es zur Verkultung von Kunstobjekten und Künstler:innen kam, also seit der Renaissance, ist die Kunstgeschichte voll von ebenso offen zur Schau gestellten wie tiefverborgenen Passionen. Diese fesseln die Rezipient:innen an Objekte der Kunst oder an ihre Urheber:innen– auf durchaus erklärungsbedürftige Weise. Der Begriff Fetisch stammt ursprünglich aus dem kolonialen Kontext, wo er zur Beschreibung heterogener Gegenstände und Praktiken der sogenannten Anderen diente, die damals aus europäischer Perspektive fremd erschienen. Einerseits ein heiliger Gegenstand, dem magische Kräfte zugeschrieben werden oder einfach eine subjektiv besondere Bedeutung beigemessen wird, kommt er dem religiösen oder ethnographisch identifizierten Götzenbild nahe. Andererseits kann darunter auch ein Gegenstand oder Körperteil verstanden werden, der aus psychoanalytischer Sicht für die Sublimierung eines sexuell aufgeladenen Bedürfnisses steht, als Ersatz für ein begehrtes Sexualsubjekt. So erzählt "das gemachte Zauberding" (von lateinisch: facere - machen; portugiesisch: feitiço - Zauber) trotz unterschiedlichem Gebrauch stets Geschichten von der rauschhaften Obsession von Gegenständen und rätselhaften Fetischisierung der die Menschen umgebenden Wirklichkeit.
In der aktuellen Ausstellung soll es um auffällige sowie irritierende Gesten und Körperhaltungen aus dem bunten Lauf der Kunstgeschichte gehen, aber auch generell um ebenso grandiose wie skurrile Über-Inszenierungen von banalen Dingen. Vom Mittelalter über die Romantik bis in die Gegenwart werden die Spielarten der fetischistischen Mechanismen in den Künsten erkundet: Blätter von Barthel Beham, Wenzel Hollar, Johann Heinrich Füssli oder Max Klinger werden neben den Werken von Urs Lüthi, Louise Bourgeois, Robert Gober und Sylvie Fleury gezeigt – stets unter dem Aspekt der künstlerischen Suche nach unterschiedlichen Kodierungen von Geschlechtlichkeit und neuen Formen von Allegorien. Nicht jede Darstellung der ikonischen Szene von Adam und Eva ist "unschuldig", jede Judith triumphiert anders über Holofernes. Da gibt es einige "Femmes fatales" mit vielsagenden Attributen in den Depots der Graphischen Sammlung: nackte Frauen, die auf abgeschlagenen männlichen Köpfen hocken, Damen mit reizvollen Handschuhen und Diven mit Mercedes-Sternen statt Brustwarzen.
Zusammen mit der Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen ist die langjährige Sammlungskonservatorin Alexandra Barcal durch die reichhaltigen Bestände gegangen, um dank des fremden Blickes auch der Frage nachzugehen, inwiefern "Fetischismus" mit seiner verwickelten Begriffsgeschichte die Konstruktionen von "Eigenem" und "Fremden" befördert hat. Was lässt sich aus solchem facettenreichen Rückblick für den heutigen Umgang mit "fetischisierten" Dingen, Technologien oder Gesten ableiten? Dabei konnten über die Jahrhunderte thematische Konstanten und überraschende Parallelen ausgemacht werden, die in der Ausstellung im Stile der legendären ikonographischen Studien von Aby Warburg aufgezeigt werden sollen. Analog zu seinem Mnemosyne-Atlas werden die ausgewählten Werke in einzelnen Kapiteln wie "Die Magie der Ware", "Mit den Waffen einer Frau" oder "Im Dickicht der Stoffe" zusammengefasst.
Elisabeth Bronfen war seit 1993 Professorin am Englischen Seminar der Universität Zürich, und ist seit dem Sommer 2023 emeritiert. Seit 2007 ist sie Global Distinguished Professor an der New York University. Die Kulturwissenschaftlerin und Autorin forscht und lehrt im Bereich der anglophonen Literatur, der visuellen Kultur, der Psychoanalyse und der Genderstudies. Ihre Bücher befassen sich u.a. mit Darstellungen des erotisierten Todes, mit Nachtbildern oder dem kulturellen Nachleben Shakespeares in zeitgenössischen TV Drama. Sie hat 2022 am Aargauer Kunsthaus die Ausstellung "Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau" kuratiert. Im Herbst 2023 ist ihr Roman "Händler der Geheimnisse" im Limmat Verlag erschienen.
Im Rausch(en) der Dinge: Fetisch in der Kunst
Eröffnung: Dienstag, 9. April 2024, 18.00 Uhr
Bis 7. Juli 2024