IFFI 2013: "Nairobi Half Life" triumphiert in starkem Wettbewerb

Die Sehnsucht nach einem Ausbruch aus tristen Verhältnissen und das, was man für die Verwirklichung dieses Traums riskiert, war ein wiederkehrendes Thema im Spielfilmwettbewerb des 22. Internationalen Film Festivals Innsbruck. Eindrucksvoll erzählten davon vor allem neben der georgischen Tragikomödie "Keep Smiling" die afrikanischen Beiträge "La pirogue" und "Nairobi Half Life".

Deutlich stärkere Filme als in den letzten Jahren brachte heuer der Spielfilmwettbewerb des Internationalen Film Festivals Innsbruck. Daniel Diáz Torres enttäuschte zwar mit seinem Low-Budget-Film "La pelicula de Ana – Lügen auf Kubanisch", als ausgesprochen zäh erwies sich auch der türkische Beitrag "Yeralti – Inside", in dem Zeki Demirbukuz nach Dostojeskis "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch" das Porträt eines misanthropischen Beamten zeichnet, doch speziell die beiden afrikanischen Wettbewerbsfilme boten packendes und bewegendes Kino.

Verdientermaßen triumphierte bei der Preisverleihung David "Tosh" Gitonga mit "Nairobi Half Life", der sowohl mit dem mit 5000 Euro dotierten Filmpreis des Landes Tirol als auch mit dem Publikumspreis ausgezeichnt wurde. Entstanden ist dieses Langfilmdebüt im Rahmen des von Tom Tykwer und seiner Frau Marie Steinmann ins Leben gerufenen Vereins "One Fine Day". Dessen Ziel ist es Kindern und Jugendlichen in den benachteiligten Regionen der Welt einen Zugang zur Kunst zu ermöglichen und junge FilmemacherInnen zu fördern.

Mit "Soul Boy" von Hawa Essuman, "Something Necessary" von Judy Kibinge und Gitongas "Nairobi Half Life" sind so in Kenia in den letzten Jahren drei Filme unter der Supervision Tykwers entstanden. Gitonga folgt in seinem Debüt dem jungen Mvas, der in seinem Dorf Raubkopien großer amerikanischer Filme verkauft und davon träumt selbst Schauspieler zu werden. Deshalb bricht er eines Tages nach Nairobi auf, wo er sogleich überfallen und dann auch noch verhaftet wird. Droht Mvas zunächst im Großstadtdschungel unterzugehen, so gelingt es ihm rasch sich anzupassen, wird in eine Gang von Kleinkriminellen aufgenommen, arbeitet aber gleichzeitig an seinem Traum von der Karriere als Schauspieler.

Mit den Augen von Mvas lässt Gitonga den Zuschauer in die brodelnde Großstadt eintauchen, schildert in dynamischer Erzählweise, die durch Rap-Musik noch intensiviert wird, und in ungeschminkten, in satte Farben getauchten Bildern einen von Verbrechen bestimmten Alltag in einer schmutzigen Welt. Kommt der Humor zunächst nicht zu kurz, so nimmt die Handlung schließlich immer düsterere Züge an, wenn die Verbrechen sich steigern. Moralisierend wird es aber erst am Ende, wenn Mvas in einem Theaterstück, das an Hans Weingartners "Die fetten Jahre sind vorbei" erinnert, auch den Kinozuschauer explizit auffordern darf, nicht nur seine eigene Welt des Wohlstands, sondern auch die der Unterschichten wahrzunehmen.

Der Einfluss der europäischen Crew ist bei diesem Film in der handwerklich perfekten Machart, in der treibenden und sichtlich auf ein jugendliches Publikum abzielenden Erzählweise nicht zu übersehen. Nichts gemein hat "Nairobi Half Life" mit dem sonst eher langsam-meditativen afrikanischen Kino, sondern erinnert vielmehr an Fernando Meirelles "City of God" und bietet wie dieser dichtes und mitreißendes Kino.

Den Zuschauer zu packen versteht auch der Senegalese Moussa Touré mit "La pirogue". Wie vor 16 Jahren, als er in "TGV" Reisende im Bus von Senegal nach Guinea begleitete, so fokussiert er auch hier auf der Reise einer inhomogenen Gruppe. Ungleich ernster ist aber der Ton, denn hier geht es um 30 Flüchtlinge, die versuchen von Senegal mit einem Fischerboot zu den Kanaren zu gelangen.

Auf eine farbenprächtige Schilderung des Alltags im Senegal, in dem alte Rituale auf I-Phones aufeinander prallen, in dem Träume vom Fußballstar oder Musiker in Europa oder auch nur von der Arbeit auf einer spanischen Gemüseplantage angesprochen werden, folgt bald die gefährliche Bootsfahrt, bei der Differenzen innerhalb der Gruppe mit äußeren Gefahren vom spektakulär inszenierten Sturm bis zu Motorschaden und drohendem Verdursten wechseln. Aufgebrochen wird dabei auch das in Europa oft pauschal verwendete Bild vom "Afrikaner", denn wenn die 30 Flüchtlinge aus unterschiedlichen Volksgruppen sich teilweise nur über einen Dolmetscher verständigen können, wird klar, wie große Unterschiede hier bestehen.

Durch die nah geführte Kamera vermittelt Touré beklemmend die klaustrophobische Enge auf dem Boot und macht eindringlich bewusst, was für menschliche Schicksale hinter nüchternen Schlagzeilen von solchen Flüchtlingskatastrophen stehen. Aus den 30.000 Afrikanern, die zwischen 2005 und 2010 auf diese Weise versuchten die Kanaren zu erreichen und von denen 6000 dabei ums Leben kamen, pickt Touré exemplarisch eine Gruppe heraus und lässt den Zuschauer ihre Reise in seinem bewegenden Film hautnah miterleben.

Wunsch nach Veränderung, nach einem anderen Leben steht auch im Mittelpunkt des georgischen Films "Susa", der im Wettbewerb um den Südwind-Filmpreis gezeigt wurde. Während im georgischen Wettbewerbsbeitrag "Keep Smiling", den die Jury mit einer "Lobenden Erwähnung" bedachte, Rusudan Chkonia ihren Blick auf prekäre Lebensverhältnisse mit schwungvoll-witziger Inszenierung auflockerte, gönnt ihre Kollegin Rusudan Pirveli ihrem Protagonisten und damit auch dem Zuschauer kaum einen Moment des Glücks.

Mit dokumentarischer Kamera folgt sie dem 12-jährigen Susa auf seinen Wegen durch eine winterlich kalte und trostlose georgische Vorstadt. Für einen illegalen Schnapsbrenner, bei dem seine Mutter arbeitet, liefert der Junge Wodka in Cafés und Kneipen. Dabei muss er einerseits vor der Polizei auf der Hut sein, andererseits Straßenräubern einen Teil seines Profits abgeben. Als ihm die Mutter berichtet, dass die Rückkehr des lange abwesenden Vaters bevorsteht, hofft Susa, dass sich nun alles ändert, wird aber bitter enttäuscht.

Nur wenig wird gesprochen, Musik wird nur an einer Stelle eingesetzt und es passiert auch nicht allzu viel. In dieser Reduktion und in der Fokussierung auf dem 12-jährigen Protagonisten liegt aber die große Stärke von "Susa": Allein durch die geduldige und genaue, gänzlich unsentimentale Schilderung einer bitteren Kindheit bewegt dieser Film und bleibt weit über das Filmende hinaus in der Erinnerung haften.

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IFFI 2013 Preisträger

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