IFFI 2013: Lockruf des Geldes

Wie weit geht der Mensch, um prekären materiellen Verhältnissen zu entkommen? Beim 22. Internationalen Film Festival Innsbruck werfen diese Frage im Wettbewerb um den Filmpreis des Landes Tirol sowohl die Georgierin Rusudan Chkonia in "Keep Smiling" als auch der Kubaner Daniel Díaz Torres in "La pelicula de Ana – Lügen auf Kubanisch" auf. Michaela Kezele dagegen erzählt in "Die Brücke am Ibar" leise, aber bewegend von den Folgen des Kosovokriegs für die Zivilbevölkerung.

Daniel Díaz Torres ist ein Stammgast beim Internationalen Film Festival Innsbruck. Schon 1992, im ersten Jahr des Festivals, zeigte man "Alicia im Dorf der Wunder", 2011 erhielt der Kubaner den IFFI-Ehrenpreis. Damals wurde auch eine kubanisch-österreichische Koproduktion beschlossen. "La pelicula de Ana" heißt das Ergebnis dieser Zusammenarbeit und wird unter dem Titel "Lügen auf Kubanisch" in die österreichischen Kinos kommen.

Im Mittelpunkt steht die verheiratete Ana, die versucht über Rollen in trashigen Telenovelas eine Karriere als Schauspielerin zu starten. Diese Jobs sind aber schlecht bezahlt und die Familie kann sich kaum das Nötigste leisten. Deshalb beschließt Ana, als sie erfährt, dass ein österreichisches Filmteam einen Dokumentarfilm über Prostitution in Havanna drehen will, kurzerhand eine Prostituierte zu spielen. Nach kurzer Einschulung bei einer echten Prostituierten spielt sie so überzeugend, dass das Filmteam sie bald auffordert, selbst im Milieu und in der Familie zu filmen und das Lügenkarussell zieht immer weitere Kreise.

Durchaus Potential hat die Geschichte, eine rasante Komödie könnte sich aus der schrittweisen Eskalation der Ereignisse ergeben oder auch ein bewegendes Drama, doch fahrig ist die Inszenierung, pendelt unentschlossen zwischen den Genres. Szene reiht sich an Szene, ohne dass ein Moment vertieft oder weiter entwickelt würde. Abgegriffen sind die Bilder von den desolaten Wohnverhältnissen in Havanna, blass bleibt auch die Figurenzeichnung und schauspielerisch kann nur Laura de la Uz als Ana überzeugen.

Parodistisch wird mit dem österreichischen Dokumentarfilmprojekt wohl auf Michael Glawoggers "Whores Glory" angespielt, gezeigt wird, zu welchen Formen der Prostitution Armut die Menschen treiben kann, aber um mitzureissen und nachhaltig zu wirken, fehlt es "La pelicula de Ana" eindeutig an Prägnanz und Pointiertheit.

Wesentlich überzeugender und praller erzählt im Grunde vom gleichen Thema die Georgierin Rusudan Chkonia in ihrem Spielfilmdebüt "Keep Smiling". Interesse weckt die 35jährige Regisseurin schon mit dem Einstieg, wenn Frauen in einem Filmstudio geschockt in einen Umkleideraum blicken und vom Leiter der Show zurückgedrängt werden. Entsetzliches muss passiert sein, doch die Aufklärung darüber wird Chkonia erst gegen Ende des Films liefern und zunächst mehrere Wochen zurückblenden.

Zehn Mütter wurden für einen Schönheitswettbewerb ausgewählt, als Preis winken eine Wohnung und 25.000 Dollar. In einem Countdown wird die Entwicklung bis zum großen Finale erzählt. Die Proben im Fernsehstudio halten den Film zusammen, von hier aus kann Chkonia auf die verschiedenen Lebenssituationen der Protagonistinnen blicken, von der Migrantin, die mit vier Kindern und Mann in einem Zimmer in einem Krankenhaus lebt bis zur Politikergattin, die an dem Wettbewerb teilnehmen darf, obwohl sie nicht einmal das Kriterium der Mutterschaft erfüllt.

Im genauen Blick auf Menschen und Situationen spürt man die Herkunft Chkonias vom Dokumentarfilm, dynamisch und reich an Eindrücken ist "Keep Smiling" durch den raschen Wechsel zwischen den treffend besetzten und gespielten Protagonistinnen, und bewundernswert gelingt der Balanceakt zwischen Witz und Tragik.

Oft möchte man Lachen, doch bleibt einem dies bei dieser Tragikomödie sogleich wieder im Hals stecken. Bissig rechnet Chkonia auch mit den Medien und den Reality-Shows ab, in denen das Schicksal von Menschen als Stoff für Unterhaltung ausgebeutet und alles dem Motto "The Show Must Go On" untergeordnet wird.

Nachhaltig im Gedächtnis haften bleibt auch Michaela Kezeles "Die Brücke am Ibar". Vor dem Hintergrund der Nato-Luftangriffe 1999 im Kosovo, erzählt Kezele von einer serbischen Witwe, die heimlich einen verwundeten Albaner aufnimmt und pflegt. Langsam kommen sich der Mann und die Frau näher, doch in einem Umfeld der erbitterten serbisch-albanischen Feindschaft scheint es für sie keine gemeinsame Zukunft zu geben.

Konventionell erzählt Kezele, doch in der Fokussierung auf einer kleinen Geschichte, im genauen Blick auf den Alltag und der unaufgeregten und leisen Erzählweise bewegt ihre einfühlsame Schilderung der Folgen eines Kriegs auf die Zivilbevölkerung. Stark ist dabei auch der Blick auf die Kinder. Eindringlich zeigt die in Deutschland geborene Regisseurin, die ihre Kindheit bis zum Kriegsausbruch in Kroatien verbrachte, die Traumatisierung der beiden Söhne der Witwe, ruft aber auch die Folgen des Einsatzes radioaktiver Munition bei den Nato-Angriffen im speziellen bei Kindern in Erinnerung.